Die Antwort ist: natürliche Lebensmittel

Die Ernährungswissenschaft wird immer komplexer, und wir wissen heute mehr über Ernährung als je zuvor. Trotzdem wächst die Verunsicherung. Dabei ist es eigentlich ganz einfach, sich gesund zu ernähren. Ein Gastbeitrag von Marit Kolby Zinöcker.

Was ist gesunde Ernährung?

In Douglas Adams’ Klassiker Per Anhalter durch die Galaxis haben wir die Geschichte von hyperintelligenten menschenähnlichen Wesen kennengelernt, die einen Supercomputer in der Größe eines kleinen Planeten bauten, um die Antwort auf „die ultimative Frage nach dem Leben, dem Universum und dem ganzen Rest” zu finden. Nach Millionen von Jahren sagt der Computer: „Ich habe eine Antwort, aber sie wird euch nicht gefallen. Die Antwort ist 42.” Für die Außerirdischen ergab dies keinen Sinn. Woraufhin die Rechenmaschine antwortete: „Ich denke das Problem liegt einfach daran, dass ihr nie wirklich gewusst habt, was die Frage ist.” Es ist naheliegend, hier eine Parallele zur Ernährungswissenschaft zu ziehen.

Intelligente Forscher haben immer komplexere Methoden entwickelt, um unsere Version der ultimativen Frage zu beantworten, nämlich „Was sollen wir essen?”. Auf der Suche nach der endgültigen Antwort für eine gesundheitsfördernde Ernährung speisen wir große Datenmengen aus Genomik, Transkriptomik, Proteomik und Metabolomik in unsere Version des Supercomputers ein – Systembiologie. Die Resultate sind widersprüchlich, und sowohl Laien als auch Experten diskutieren laut und leidenschaftlich, woraus eine gesunde Ernährung denn nun besteht. Wer hat Recht? Oder liegen etwa alle falsch?

Lebensmittel wurden auf Nährstoffe reduziert

Marit Kolby Zinöcker ist Ernährungsbiologin, Dozentin an der Bjørknes Høyskole (Oslo) und norwegische Food-Bloggerin (Matlyst!).

Seit den Anfängen der Ernährungswissenschaft, die durch die Entdeckung von Vitaminen im frühen 20. Jahrhundert ausgelöst wurde, war unser wissenschaftlicher Umgang mit Lebensmitteln reduktionistisch. Auf diese Weise haben wir wichtige Erkenntnisse über die Bedeutung von Nährstoffen in Lebensmitteln gewonnen. Doch gleichzeitig haben wir auch die Illusion erschaffen, dass gesundes Essen nur aus einer bestimmten Kombination von Vitaminen und Mineralstoffen besteht.

Dadurch entstand das Phänomen des „Nutritionismus“. Das bedeutet: Menschen betrachten ihr Essen vor allem als Träger seiner Inhaltsstoffe. Milch wurde zu Kalzium und Fisch wurde zu Omega-3-Fettsäuren – unser Essen wird auf die Summe seiner Nährstoffe reduziert. Basierend auf dem Nährstoffgehalt gibt man heute Empfehlungen für eine vollwertige, gesunde Ernährung. Aber gibt dies ein ausreichendes Verständnis dafür, wie sich Lebensmittel auf uns auswirken?

Offizielle Ernährungsempfehlungen definieren den Gesundheitswert von Lebensmitteln aufgrund von Kalorien, gesättigtem Fett, Salz und Ballaststoffen. Butter ist daher theoretisch ungesund, weil sie zu viel an gesättigten Fettsäuren enthält. Fettreiche Käsesorten sollten derselben Logik nach eigentlich auch ungesund sein, in der Praxis ist aber eher das Gegenteil der Fall. Weil Übergewicht der Hauptgrund für den Zuwachs an globalen, ernährungsbedingten Krankheiten ist, ist die Suche nach schlank- oder dickmachenden Lebensmitteln von zentraler Bedeutung in der heutigen Ernährungsdebatte.

Infolge sich wiederholender Diskussionen über die „richtige” Ernährung stoßen die offiziellen Ernährungsratschläge dabei immer öfter auf taube Ohren. Selbsternannte Ernährungsexperten (oft mit kommerziellen Interessen) geben in den Medien den Ton an und identifizieren gerne bestimmte Lebensmittel, wie zum Beispiel Obst oder Honig, entweder als die Lösung oder die Ursache für unsere Gesundheitsprobleme. Die Verwirrung ist allem Anschein nach komplett.

Zudem hat jeder seine eigene Meinung zu Ernährung und Lebensmitteln, weil jeder isst. Und man ist, was man isst. An den Esstischen der Republik finden wir Vertreter für die unterschiedlichsten Ernährungsformen. Der eine isst nur Low Carb, andere haben die ketogene Diät (fast frei von Kohlenhydraten) für sich entdeckt. Einige sind auf der guten und altmodischen Diät bestehend aus Kleiebrot, Hüttenkäse und Gurke. Manche sind neu-konvertierte Veganer oder Flexitarianer, während wieder andere ihre Erlösung als reine Fleischesser gefunden haben und sich gänzlich von Tierprodukten ernähren.

Auf der Strecke bleiben dabei der Genuss und die Lust am Essen. Auf der Suche nach der perfekten Diät laufen wir Gefahr, unsere Esskultur und Traditionen zu verlieren.

Eine Studie, die die Augen öffnet

Kevin Hall, Forscher an den US-amerikanischen National Institutes of Health (NIH), wurden die verbalen Auseinandersetzungen über eine optimale Ernährung zu viel. Deshalb entwarf er eine Studie mit einer für die Ernährungswissenschaft ungewöhnlichen Herangehensweise: Er verglich die Wirkung von hochverarbeiteten Lebensmitteln (industriell so weit verarbeitete Lebensmittel, dass sie ihr gesundheitsförderndes Potenzial eingebüßt haben) mit Lebensmitteln, die nur zu einem sehr geringen Teil verarbeitetet waren (Hall et al. 2019).

In diesem Forschungsprojekt wurden freiwillige Teilnehmer einen Monat lang im Labor vom Rest der Welt isoliert. Eine Gruppe erhielt zwei Wochen lang nur frisch zubereitete Gerichte aus frischen Rohwaren (also „nicht-verarbeitetes” Essen), der anderen Gruppe wurden ausschließlich Fertigprodukte (hochverarbeitete Lebensmittel) verzehrfertig serviert. Danach wechselten beide Gruppen und aßen für zwei weitere Wochen das jeweils andere Menü.

Das Entscheidende dabei: Beide Diäten waren vom Nährstoffgehalt vergleichbar, bestanden also aus den gleichen Mengen Fett, Protein, Kohlenhydraten, Salz und Ballaststoffen und hatten den gleichen Kaloriengehalt. Die Probanden durften so viel essen, wie sie wollten. Was kam dabei heraus? Diejenigen, die industriell verarbeitetes Essen zu sich nahmen, aßen unbewusst mehr als notwendig und legten an Gewicht zu. Die nicht-industriell verarbeitete Diät führte bei den gleichen Teilnehmern und im gleichen Zeitraum zu einer deutlichen Abnahme an Körpergewicht – und zwar ohne, dass diese Teilnehmer ihre Nahrungsaufnahme einschränkten.

Die Resultate dieser Studie haben Wissenschaftlern und Ernährungsexperten auf der ganzen Welt neue Denkanstöße gegeben. Aber war das Ganze eigentlich so neu?

Was ist die „natürliche” Ernährung?

Für die meiste Zeit der Menschheitsgeschichte lautete die Antwort auf die Frage, was wir essen sollen: „Das, was wir zur Verfügung haben”. Bis vor kurzem war unsere Ernährung von der lokalen Geografie und deren Flora und Fauna abhängig. Wer als Inuit auf Grönland auf die Welt kam, aß hauptsächlich erlegte Meerestiere und Vögel. Seine Energieversorgung bestand also in erster Linie aus Fett. Das Los des Tsimane-Volkes in Bolivien war es, sich von Reis, Mais, Wurzelgemüse und Obst zu ernähren. Fleisch oder Fisch gab es nur ab und zu. Den Großteil ihres Energiebedarfs konnten sie also durch Kohlenhydrate decken. Die traditionelle Ernährung der Massaï in Kenya und Tanzania war wiederum ganz anders als beispielsweise jene von Bewohnern der Kitava-Inseln im Pazifik.

Fettleibigkeit oder ungesunde Ernährung waren in diesen Urvölkern unbekannt, selbst mit aus der Sichtweise der modernen Ernährungsforschung höchst unterschiedlichen Diäten. Der gemeinsame Nenner ist jedoch, dass Essen historisch aus Grundnahrungsmitteln bestand – entweder frisch zubereitet oder mit einfachen und traditionellen Methoden konserviert, sodass die Qualität der Rohstoffe bewahrt wurde.

Es geht nicht um einzelne Nährstoffe

Auf der Suche nach der richtigen Zusammensetzung an Kalorien und Salz, Fett und Kohlenhydraten, Proteinen und Ballaststoffen – dem heiligem Gral der Ernährungswissenschaft – haben wir bisher widersprüchliche Antworten erhalten. Haben wir ganz einfach die Frage nicht verstanden? Bei der Frage, was wir essen sollen, geht es nicht nur um Nährstoffe, sondern auch darum, wie wir die Qualität der Rohstoffe bewahren. Dies geschieht nicht, indem wir die Art der Fettsäuren ändern, den Salzgehalt reduzieren oder industriell hochverarbeiteten Lebensmitteln (sprich Fertigprodukten) eine gewisse Menge an Ballaststoffen zufügen.

Mit anderen Worten. Die Ernährungswissenschaft hat endlich eine Antwort gefunden, die Sinn ergibt und die dem entspricht, was wir während des größten Teils unserer Evolution praktiziert haben. Die Antwort wird euch vielleicht nicht gefallen. Sie lautet: echtes Essen, frisch zubereitet aus natürlichen Zutaten.



Bei diesem Gastbeitrag handelt es sich um die editierte Übersetzung des Artikels «Svaret er råvarer», der am 21.08.2019 in der norwegischen Zeitung Morgenbladet erschien und der in Norwegen für eine breite öffentliche Diskussion sorgte.


8 Kommentare

  1. Eine sehr interessante Studie und irgendwie einleuchtend. Ich habe auch das Gefühl, dass meine Haut und Verdauung schlechter wird, je mehr Fertiggerichte ich esse, was leider manchmal der Fall ist einfach aus Zeitmangel. Ich versuche schon viel beim Bauern um die Ecke zu kaufen und bei Familienbetrieben. Liebe Grüße
    Julia

  2. Interessanter Artikel. Aber ich frage mich, ob das so pauschal stimmt: “einfachen und traditionellen Methoden konserviert, sodass die Qualität der Rohstoffe bewahrt wurde.”

    Pökeln und Einkochen sind im Vergleich zum Einfrieren und Einpacken in Schutzgasatmosphäre sicher nicht schonender, vermute ich mal. Anders sieht das natürlich aus, wenn die Energiebilanz oder Müllmenge berücksichtigt werden.

    1. Also ich zweifle teilweise an unserem “Frisch-Kult”. Unsere Vorfahren werden wohl die wenigste Zeit frisches Rindfleisch, frische Pilze, frische Äpfel…… gegessen haben. Frisches Geflügelfleisch ev.
      Archäologen haben bei Wien getrocknete Wildäpfel ausgegraben. Pilze wurden getrocknet.

      Die Nachfahren der Tsiname sollen halt wieder Reis und Mais essen.
      Die Nachfahren der Inuit Meerestier und Vögel.

      Usw,usw,…

      Die Gene haben sich im Laufe der Zeit angepasst. aber unsere noch nicht an das was wir essen.
      Tofu soll zu Gehirnschrumpfung führen-warum sagt uns das niemand?

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