„Vitalpilze“ als Medizin?

Zu den Bestsellern bei Nahrungsergänzungsmitteln gehören Vitamine und Mineralstoffe. Seit Kurzem drängen auch sog. Vitalpilz-Präparate auf den Markt. Wie sind die damit verbundenen Gesundheitsversprechen zu bewerten? In diesem Artikel werden die medizinischen Aspekte erläutert. Eine rechtliche Einordnung der Vitalpilz liefert die Rechtsanwältin Dr. Lisa Feuerhake in einem separaten Beitrag (hier).

Herkunft der „Vitalpilze“

Bei der Bezeichnung „Vitalpilze“ handelt es sich um eine Marketing-Bezeichnung, die weder definiert noch rechtlich geschützt ist. Vermarktet werden damit Erzeugnisse, die pulverisierte, zerkleinerte Pilze bzw. Pilzextrakte enthalten. Üblicherweise handelt es sich dabei um Pilze, die aufgrund ihres Geschmacks nicht als Speisepilze verwendet werden. Der überwiegende Teil dieser „Vitalpilze“ entstammt der ayurvedischen oder der traditionellen chinesischen Medizin, und das Marketing nennt oder legt Gesundheitswirkungen zumindest nahe.

Während „Vitalpilze“ ursprünglich aus Wildsammlungen in China, Korea oder Japan stammten, werden die heute verwendeten Pilze meist nicht mehr gesammelt, sondern in Pilzfarmen kultiviert. Zahlreiche dieser Pilze sind aufgrund des Geschmacks oder der Konsistenz nicht zum üblichen Verzehr geeignet (z. B. Raupenpilz, Schmetterlingstramete oder Lackporling). In der traditionellen asiatischen Medizin werden diese Pilze individuell zusammengestellt und nicht als fertiges Nahrungsergänzungsmittel eingenommen.

Typische Inhaltsstoffe

Wie alle Pilze sind auch die „Vitalpilze“ reich an pilztypischen, unverdaulichen Zuckern (sog. Beta-, Xylo- und Heteroglykane) (Lo et al. 2011). Daneben sind Terpenoide und kurzkettige Eiweiße häufig vertreten (Lo et al. 2011; Lam et al. 2015). Einzelne Pilzarten enthalten zudem spezifische Inhaltsstoffe, beispielsweise das Cordycepin in Ophiocordyceps sinensis oder das Enzym Laccase in Coriolus versicolor. Zum toxikologischen Profil dieser Verbindungen gibt es keine systematischen Untersuchungen oder aussagekräftige Daten.

Marketing für „Vitalpilze“

Bereits die Verwendung der Marketingbegriffe „Vital-“, „Heil-“ oder „Medizinalpilze“ suggeriert die präventive und therapeutische Wirksamkeit dieser „Mykotherapie“. Eine bevorzugte Zielgruppe dieses Marketings sind Krebspatienten. Daneben finden sich in den Werbeaussagen zu „Vitalpilzen“ praktisch alle Krankheiten, unter anderem Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Rheuma, Allergien und Diabetes mellitus. Getarnt als angeblich redaktionelle Beiträge im Internet, Buchrezensionen oder über Influencer-Marketing via Instagram werden Heil- und Wirkversprechen gemacht.

Neben den Risiken von fraglicher Wirksamkeit und unbekannten Nebenwirkungen zeigen Auswertungen der Verbraucherzentralen außerdem, dass „Vitalpilz“-Produkte oft auch andere als die deklarierten Pilze enthalten und mit Schimmelpilzen kontaminiert sind. Für Shiitake-haltige Zubereitungen gibt es zahlreiche Berichte über allergische Reaktionen (Stephany et al. 2016).

Welche Studien gibt es zu “Vitalpilzen”?

In Asien werden über 100 verschiedene Spezies an „Medizinalpilzen“ verwendet. Zu den prominentesten Vertretern gehören Trametes versicolor (Schmetterlingstramete), Ganodermum lucidum (Reishi) und Lentinus edodes (Shiitake). Die Hinweise auf therapeutische Effekte von „Vitalpilzen“ stammen größtenteils aus Zellversuchen und Tierexperimenten (Jayachandran et al. 2017).

Daneben gibt es nur wenige, randomisiert-kontrollierte Studien an Menschen. Hierzu gehört beispielsweise die Anwendung von pulverisierten Austern- und Abalone-Seitlingen bei Typ-2-Diabetikern, wodurch der Blutzuckeranstieg nach Mahlzeiten reduziert wurde (Jayasuriya et al. 2015). Ähnliche Effekte sind für Präparate auf Mandelpilz- (Hsu et al. 2007) und Chagapilz-Basis beschrieben (Maenaka et al. 2008). Von wenig aussagekräftigen Einzelstudien abgesehen ist die Datenlage zu den verschiedenen „Vitalpilzen“ jedoch sehr ernüchternd. Beispielhaft soll im Folgenden die Situation für die Bestseller Schmetterlingstramete, Reihsi und Shiitake dargestellt werden.

Schmetterlingstramete in der Krebstherapie

Schmetterlingstramete (Trametes versicolor)

Die Schmetterlingstramete (Trametes versicolor) wird in der traditionellen chinesischen Medizin zur Therapie von Lungenkrankheiten eingesetzt. Das aus dem Pilz gewonnene Polysaccharid-K (PSK, Krestin) wird insbesondere in Japan erforscht und wurde seit den 1970er-Jahren in mehreren Humanstudien zur unterstützenden Krebstherapie erprobt. Inzwischen wurden Metaanalysen über Studien mit mehreren Hundert Patienten veröffentlicht, die positive Effekte einer PSK-Supplementation parallel zur Chemotherapie bei Magen-, Darm- und Lungenkrebs zeigen (Oba et al. 2007; Sakamoto et al. 2006; Fritz et al. 2015). Diese Daten geben Anlass zu weitergehender Forschung. Für andere Indikationen sind keinerlei aussagekräftige Studien publiziert.

Nebenbei: Die Schmetterlingstramete ist in der EU aufgrund der fehlenden Zulassung als Novel Food überhaupt nicht verkehrsfähig (rechtliche Einordnung hier).

Reishi: “Pilz der Unsterblichkeit”

Reishi-Pilz (Glänzender Lackporling, Ganoderma lucidum)

Von Ganoderma lucidum (Lingzhi, Reishi, Glänzender Lackporling) existieren zahlreiche Spezies, die in den meisten Produkten jedoch nicht separat deklariert sind. In China wird der Pilz seit mindestens 2000 Jahren als „Pilz der Unsterblichkeit“ arzneilich genutzt, unter anderem zur Behandlung von Krebs, Epilepsie, Herzerkrankungen und Diabetes (Wachtel-Galor et al. 2011). Neben pulverisiertem Pilz werden auch Pilz-Extrakte vermarktet. In einer Studie mit Patienten mit koronarer Herzkrankheit bewirkte die Einnahme von Reishi-Extrakt über zwölf Wochen im Vergleich zu Placebo eine Senkung von Blutdruck und Triglycerid-Konzentrationen im Blut (Gao et al. 2004). Für die Anwendung bei Krebserkrankungen gibt es keine aussagekräftigen klinischen Studien (Gao et al. 2005; Chen et al. 2006, Jin et al. 2018). Auch für die übrigen postulierten Indikationen finden umfassende Cochrane-Reviews keine Evidenz einer klinischen Wirksamkeit (Jin et al. 2018; Klupp et al. 2015; PDQ 2019).

Shiitake als Stärkungsmittel

Shiitake-Pilz (Lentinus edodes)

Die medizinische Verwendung von Shiitake-Pilzen (Lentinus edodes) ist in China seit dem 14. Jahrhundert dokumentiert. Traditionell wurden Shiitake-Zubereitungen als sog. „Stärkungsmittel“ (Tonikum) und zur Krebstherapie eingesetzt – allerdings ohne wissenschaftlich nachgewiesene Wirksamkeit. Labor-Daten deuten darauf hin, dass das aus Shiitake isolierte Lentinan das Immunsystem beeinflusst (Zhang et al. 2011; Ina et al. 2013). Daneben liefern Pilotstudien Hinweise auf eine unterstützende Wirksamkeit von Lentinan in der Therapie von Magenkrebs (Ina et al. 2013). Die Aussagekraft dieser Daten ist bislang aber äußerst fraglich.

Fazit

Insgesamt ist die Studienlage sowohl zu präventiven und therapeutischen Wirkungen von „Vitalpilzen“ als auch zu deren Risikopotenzial äußerst lückenhaft und in keinem Fall aussagekräftig (Money et al. 2016). Gerade unter Anwendung des medizinischen Grundsatzes „Zuerst nicht schaden” sollten entsprechende Produkte vor allem dann nicht angewendet werden, wenn es für die entsprechende Krankheit wirksame, sichere und umfassend erprobte Arzneistoffe gibt.

Daneben sollte nicht dem von Herstellerseite häufig beförderten Klischee aufgesessen werden, in der traditionellen chinesischen Medizin gebe es pflanzliche oder pilzliche „Wundermittel” zur Therapie von Krebs oder anderen schwerwiegenden Erkrankungen, weshalb diese „Naturmedizin“ der westlichen „Schulmedizin“ überlegen sei. Gerade in China ist die Krebsmortalität vergleichsweise hoch (Zhou et al. 2016). Parallel zur zunehmenden Verbreitung „westlicher” Medizin in China hat sich die Lebenserwartung erheblich verbessert (1960: 43 Jahre; 2017: 76 Jahre (UN 2017)).

Ich danke Rechtsanwalt Prof. Dr. Alfred Hagen Meyer, München, für seine lebensmittelrechtliche Expertise. Dieser Beitrag erschien erstmals am 10. 10. 2019 in der Deutschen Apotheker Zeitung.

Interview zu “Vitalpilzen” im Deutschlandfunk, 05.12.2019

Copyright der Fotos: Schmetterlingstramete (James Lindsey at Ecology of Commanster [CC BY-SA 2.5 (https://creativecommons.org/licenses/by-sa/2.5)]); Reishi-Pilz (Eric Steinert [CC BY-SA 3.0 (http://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/)]); Shiitake-Pilz (frankenstoen from Portland, Oregon [CC BY 2.0 (https://creativecommons.org/licenses/by/2.0)]).

3 Kommentare

  1. Ich muss leider dieser Sache Pilze widersprechen: Ich nehme über 10 Jahre Rheishi Cordyceps Hericum und fühle mich sehr gesund. Brauche noch keine ärztliche Tabletten. Werde 82 Jahre. Ich kann die Pilze nur empfehlen.

  2. Vielen Dank für diese Informationen über Vitalpilze. Ich höre regelmäßig über solche Pilze. Von Zeit zu Zeit sehe ich auch Ergänzungen in Geschäften. Ich hoffe, dass in Zukunft mehr Forschung auf diesem Gebiet betrieben wird.

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