„Vitalpilze“ – eine rechtliche Einordnung

Traut man der Werbung, versprechen „Vitalpilze“ ein langes Leben bei hervorragender Gesundheit. Insbesondere im Internet finden sich zahlreiche Hinweise auf eine vermeintlich positive Wirksamkeit von „Vitalpilze“-Produkten. Diese Aussagen sind jedoch nicht nur medizinisch äußerst fragwürdig, sondern sie sind auch rechtlich äußerst kritisch zu sehen. Ein Gastbeitrag von Dr. Lisa Feuerhake, Hamburg.

Zur Frage der Verkehrsfähigkeit

Die Datenlage zur medizinische Wirkung sog. „Vitalpilze“ ist dürftig (Beitrag hier). Daneben stellen sich jedoch auch wichtige lebensmittelrechtliche Fragen. „Vitalpilz“-Produkte werden überwiegend als Nahrungsergänzungsmittel angeboten. Nahrungsergänzungsmittel enthalten ein Konzentrat von Nährstoffen oder sonstigen Stoffen mit ernährungsspezifischer oder physiologischer Wirkung und werden in dosierter Form (z. B. als Kapseln oder Tablette) in den Verkehr gebracht (siehe § 1 Abs. 1 NemV, [1]). Sie gelten rechtlich als Lebensmittel und sind von Arzneimitteln abzugrenzen. Die Auslobung krankheitsbezogener Wirkungen für Nahrungsergänzungsmittel ist daher stets unzulässig (siehe Art. 7 Abs. 3 der LMIV, [2]). Auch die Verwendung gesundheitsbezogener Angaben ist nach den Vorgaben der Health-Claims-Verordnung nur zulässig, wenn für die Inhaltsstoffe der „Vitalpilz“-Produkte ein spezifischer Health Claim eingetragen ist [3, 4]. Das ist in der Regel nicht der Fall.

Sind „Vitalpilze“ Präsentationsarzneimittel?

Vorausgesetzt, die „Vitalpilz“-Produkte erfüllen überhaupt die oben genannten Anforderungen an Nahrungsergänzungsmittel, enthalten also insbesondere physiologisch wirksame Bestandteile, stellt sich vor allem die Frage, ob es sich um Präsentationsarzneimittel handelt. Denn diese als „Vitalpilze“ bezeichneten Produkte werden zwar häufig in neutralen Verpackungen vertrieben. Im Internet werden diese Produkte aber vollmundig mit gesundheitlichen und pharmakologischen Wirkungen beworben, die eine Anwendung als Arzneimittel nahelegen. Zumeist geht diese Bewerbung einher mit Hinweisen auf eine langiährige Verwendung von „Vitalpilzen“ in der traditionellen chinesischen Medizin (TCM).

Nach Auffassung der Gemeinsamen Expertenkommission des Bundesamtes für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL) und des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) von 2014 liege es bei „Vitalpilz“-Präparaten aufgrund der umfangreichen krankheitsbezogenen Werbeauslobungen insbesondere im Internet nahe, von dem Vorliegen eines Präsentationsarzneimittels auszugehen [5]. Dies hätte zur Folge, dass diese Erzeugnisse grundsätzlich nicht verkehrsfähig wären, da im Regelfall keine arzneimittelrechtliche Zulassung besteht.

Ein Präsentationsarzneimittel liegt nach der ständigen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes vor, wenn es auf dem Etikett, dem Beipackzettel oder mündlich ausdrücklich als ein Mittel zur Heilung oder zur Verhütung von menschlichen Krankheiten bezeichnet oder empfohlen wird [6, 7]. Darüber hinaus genügt es zur Einstufung als Präsentationsarzneimittel jedoch auch, wenn bei einem durchschnittlich informierten Verbraucher schlüssig, aber mit Gewissheit der Eindruck entsteht, dass dieses Erzeugnis in Anbetracht seiner Aufmachung die Eigenschaften eines Mittels zur Heilung, Linderung oder Verhütung menschlicher Krankheiten habe.

Ein solcher Eindruck kann insbesondere dann entstehen, wenn die Produktaufmachung oder die begleitende Produktinformation Aussagen enthält, die auf ein Arzneimittel schließen lassen, etwa durch die Auslobung therapeutischer Wirkungen bei Erkrankungen. Zur Bewertung herangezogen werden können dabei auch Angaben in Werbebroschüren oder auf der Internetseite des Herstellers.

Grundsätzlich kann sich ein Produkt auch entgegen der ausdrücklichen Bezeichnung als „Nahrungsergänzungsmittel“ aus Sicht des angesprochenen Durchschnittsverbrauchers als Präsentationsarzneimittel darstellen. Zweifelhaft ist allerdings, ob aufgrund verfügbarer Informationen von unabhängiger dritter Seite insbesondere im Internet eine allgemeine Verkehrsauffassung dahingehend begründet wird, dass es sich bei „Vitalpilz“-Präparaten stets um Arzneimittel handelt [5].

Die Anforderungen an das Bestehen einer solchen Verkehrsauffassung unabhängig von der konkreten Produktaufmachung sind als hoch anzusehen. Das Handeln unabhängiger Dritter, wie etwa von Betreibern von Werbeplattformen im Internet oder von Herstellern vergleichbarer Produkte, die in keiner rechtlichen und wirtschaftlichen Verbindung zu dem konkreten Vertreiber der beanstandeten „Vitalpilz“ stehen, darf den Produktverantwortlichen grundsätzlich nicht ohne Weiteres zugerechnet werden [8, 9]. Allein durch nicht produkt- und herstellerbezogene Informationen von dritter Seite im Internet kann daher grundsätzlich nicht das Vorliegen eines Präsentationsarzneimittels begründet werden.

Bei der Bewertung der Verkehrsfähigkeit von „Vitalpilz“-Produkten kommt es daher im Rahmen der maßgeblichen Gesamtbetrachtung erheblich auf die konkrete Produktaufmachung und die begleitenden Werbeaussagen sowie auf den eigenen Internetauftritt des Herstellers an. Neben der Frage, ob es sich um ein Präsentationsarzneimittel handelt, sind insbesondere auch die gesetzlichen Anforderungen an die ernährungsphysiologische Wirksamkeit von Nahrungsergänzungsmitteln und die Vorgaben der Health-Claims-Verordnung zu beachten.

Zur Einstufung von „Vitalpilzen“ als Novel Food

Selbst wenn „Vitalpilz“-Produkte nach Maßgabe des Einzelfalls nicht generell als Präsentationsarzneimittel anzusehen sind, ist dennoch zu beachten, ob die einzelnen verwendeten Pilzarten auch als Lebensmittelzutaten für Nahrungsergänzungsmittel in der Europäischen Union zulässig sind. Nach den Vorgaben der Verordnung über neuartige Lebensmittel ist eine Zulassung erforderlich, wenn Lebensmittelzutaten vor dem 15. Mai 1997 nicht in nennenswertem Umfang in der Union für den menschlichen Verzehr verwendet wurden [10].

Anhaltspunkte für die Einordnung von Stoffen bietet der sogenannte Novel-Food-Katalog der Europäischen Kommission [11]. Zwar ist dieser Katalog grundsätzlich rechtlich unverbindlich. Allerdings spiegeln die Eintragungen die gemeinsame Position der Europäischen Kommission und der Mitgliedstaaten wider und werden grundsätzlich von den Überwachungsbehörden zur Bewertung neuartiger Lebensmittel herangezogen.

Für einen der angeblich potentesten „Vitalpilze“, die Schmetterlingstramete (Trametes versicolor oder Coriolus versicolor), besteht beispielsweise keine Verzehrhistorie vor 1997 in der Europäischen Union, sodass davon auszugehen ist, dass es sich um ein neuartiges Lebensmittel handelt. Da für die Schmetterlingstramete jedoch auch keine Zulassung besteht, sind entsprechende „Vitalpilz“-Produkte in der EU als neuartige Lebensmittel nicht verkehrsfähig. Dementsprechend ist der verantwortliche Unternehmer dringend gehalten, vor dem Inverkehrbringen von Vitalpilzprodukten zu prüfen, ob es sich um ein sicheres Lebensmittel handelt, insbesondere im Hinblick auf „Novel Food“.

Zur Zuständigkeit der Überwachungsbehörden

Die Überwachung von Produkten, die sich als Präsentationsarzneimittel darstellen, ohne die erforderliche Arzneimittelzulassung aufzuweisen, richtet sich primär nach dem Arzneimittelgesetz (AMG) [12]. Die zuständigen Behörden treffen die notwendigen Anordnungen zur Beseitigung festgestellter Verstöße sowie zur Unterbindung zukünftiger Verstöße gegen arzneimittelrechtliche Bestimmungen. Insbesondere können sie das Inverkehrbringen von Arzneimitteln untersagen, wenn die erforderliche Zulassung nicht vorliegt (§ 69 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 AMG). Dabei setzt § 69 AMG ebenso wie die allgemeine Regelung zur Durchführung der Überwachung in § 64 AMG die Zuständigkeit der Behörde voraus [12].

Die sachliche Zuständigkeit der Überwachungsbehörden im Einzelnen ist – sofern es sich nicht um eine Bundesbehörde handelt – nicht im Arzneimittelgesetz geregelt, da die Kompetenz für den Vollzug der gesetzlichen Regelungen bei den Ländern liegt. Die Zuständigkeit der Überwachungsbehörden richtet sich nach dem jeweiligen Landesrecht. In der Regel sind die mittleren Verwaltungsbehörden für die Überwachung der Vorgaben des AMG zuständig [13]. Örtlich zuständig sind grundsätzlich die Überwachungsbehörden am Sitz des pharmazeutischen Unternehmers. Die Einzelheiten der Überwachungstätigkeit sind in der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zur Durchführung des Arzneimittelgesetzes (AMGVwV) geregelt [14]. Ebenso ist auch die Überwachung von Verstößen gegen die Novel-Food-Verordnung Ländersache [15]. Zuständig für den Vollzug sind in der Regel die Ordnungsbehörden, also etwa die Landratsämter und die kreisfreien Städte.

Zusammenfassung

Vor dem Inverkehrbringen von „Vitalpilz“-Produkten sollte streng geprüft werden sollte, ob diese den Anforderungen an ein sicheres Lebensmittel und den ernährungsphysiologischen Anforderungen an Nahrungsergänzungsmittel entsprechen. Für „Vitalpilz“-Präparate dürfen keine Aussagen getätigt werden, die auf ein Arzneimittel schließen lassen. Der angesprochene Verbraucher darf nicht den unzutreffenden Eindruck bekommen, er könne mit diesem Produkt Krankheiten oder Beschwerden heilen. Der Verbraucher soll vor dem Risiko von Selbstmedikationen geschützt werden. Aufgrund des hohen Schutzgutes der Gesundheit ist bei Verwendung unzulässiger krankheitsbezogener Werbeversprechen auch mit einem hohen Risiko von Beanstandungen durch die Überwachungsbehörden zu rechnen.

Literatur

[1] § 1 Abs. 1 Nahrungsmittelergänzungsverordnung (NemV) vom 24. Mai 2004 (BGBl. I S. 1011), die zuletzt durch Artikel 11 der Verordnung vom 5. Juli 2017 (BGBl. I S. 2272) geändert worden ist. www.gesetze-im-internet.de/nemv/NemV.pdf

[2] Art. 7 Abs. 3 der Lebensmittelinformations-Verordnung (EU) 1169/2011 (LMIV)

[3] Art. 13 Abs. 1, Abs. 3 Verordnung (EG) Nr. 1924/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Dezember 2006 über nährwert- und gesundheitsbezogene Angaben über Lebensmittel (Health-Claims-Verordnung). https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/?uri=CELEX:32006R1924

[4] Verordnung der Kommission vom 16. Mai 2012 zur Festlegung einer Liste zulässiger anderer gesundheitsbezogener Angaben über Lebensmittel als Angaben über die Reduzierung eines Krankheitsrisikos sowie die Entwicklung und die Gesundheit von Kindern, https://eur-lex.europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri=OJ:L:2012:136:0001:0040:DE:PDF

[5] Stellungnahme der Gemeinsamen Expertenkommission des Bundesamtes für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL) und des Bundesamtes für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) 01/2014 zur Einstufung bestimmter Vitalpilzprodukte. www.bvl.bund.de/SharedDocs/Downloads/01_Lebensmittel/expertenkommission/Erste_Stellungnahme_Vitalpilze.pdf

[6] Rechtssache C-319/05, EUGH-Urteil vom 15. November 2007, Knoblauchpräparat in Kapseln ist kein Arzneimittel (Kommission/Deutschland). Lebensmittel & Recht 2008; 2: 28-32.

[7] BVerwG 20.11.14- 3 C25/13: Geeignetheit eines Funktionsarzneimittels zu therapeutischen Zwecken – E-Zigarette. Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht 2015; 11: 749.

[8] Einstufung eines Nahrungsergänzungsmittels als Präsentationsarzneimittel; Zulassungspflicht für ein Arzneimittel. Verwaltungsgericht Berlin, Urteil vom 22. Juni 2017 – 14 K 279/15. PharmR 2017; 467-470.

[9] Doepner U, Reese U. Heilmittelwerbegesetz (HWG), 3. Auflage 2018, Vahlen

[10] Verordnung (EU) 2015/2283 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. November 2015 über neuartige Lebensmittel („Novel-Food-Verordnung“), zur Änderung der Verordnung (EU) Nr. 1169/2011 des Europäischen Parlaments und des Rates und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 258/97 des Europäischen Parlaments und des Rates und der Verordnung (EG) Nr. 1852/2001 der Kommission. ­https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:32015R2283&from=DE

[11] „Novel-Food“-Katalog der Europäischen Kommission. https://ec.europa.eu/food/safety/novel_food/catalogue_en)

[12] Gesetz über den Verkehr mit Arzneimitteln (AMG). www.gesetze-im-internet.de/amg_1976/

[13] Vollzug des AMG – Adressverzeichnis der Überwachungsbehörden. www.bundesgesundheitsministerium.de/themen/krankenversicherung/arzneimittelversorgung/arzneimittel/amg-zustaendige-stellen.html

[14] Allgemeine Verwaltungsvorschrift zur Durchführung des Arzneimittelgesetzes (AMGVwV) vom 29. März 2006, www.bundesgesundheitsministerium.de/fileadmin/Dateien/3_Downloads/Gesetze_und_Verordnungen/GuV/A/Allgemeine_Verwaltungsvorschrift_zur_Durchfuehrung_des_Arzneimittelgesetzes_AMGVwV.pdf

[15] § 38 Abs. 1 Lebensmittel-, Bedarfsgegenstände- und Futtermittelgesetzbuch (Lebensmittel- und Futtermittelgesetzbuch – LFGB).

Dr. Lisa Feuerhake studierte Rechtswissenschaft und angloamerikanisches Recht in Münster. Ihre Schwerpunkte sind Lebensmittel- und Heilmittelwerberecht. Sie arbeitet als Rechtsanwältin bei ZENK Rechtsanwälte Partnerschaft mbB in Hamburg.

Dieser Beitrag erschien erstmals am 10. 10. 2019 in der Deutschen Apotheker Zeitung.

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