Schützen Omega-3-Fettsäuren vor Herzinfarkt?

Die Frage nach der Sinnhaftigkeit von Omega-3-Fettsäuren zum Schutz vor Herzinfarkt und Schlaganfall gehört längst zu den ernährungsmedizinischen Endlosgeschichten. Eine aktuelle Metaanalyse über Interventionsstudien bei Patienten mit hohem kardiovaskulärem Risiko zeigt wieder einmal: Die Supplemente bringen nichts. Zumindest nicht kurzfristig.

Fisch, Omega-3-Fettsäuren und Herzgesundheit

Aus Beobachtungsstudien ist seit Langem bekannt, dass regelmäßiger Fischkonsum (1-2x pro Woche) mit einem reduzierten Risiko für koronare Herzkrankheit assoziiert ist. Als Träger dieser vermuteten kardioprotektiven Wirkung von Fischmahlzeiten werden vor allem die in bestimmten Fischarten in größerer Konzentration enthaltenen Omega-3-Fettsäuren angesehen, insbesondere Eicosapentaensäure (EPA) und Docosahexaensäure (DHA). Daraus ergab sich die Idee, dass ggf. auch die isolierten Omega-3-Fettsäuren in Form von Supplementen (“Fischölkapseln”) einen protektiven Effekt haben könnten.

Diese Überlegung hat jedoch mehrere Haken: Erstens bedeutet eine umgekehrte Korrelation von Fischverzehr und Herzinfarkt-Rate keine Kausalität (das kann man sich sehr gut an Beispielen wie der Korrelation von Schuhgröße und Einkommen klarmachen). Zweitens könnte ein kausaler Zusammenhang (wenn es ihn denn gäbe) möglicherweise gar nicht auf den Omega-3-Fettsäuren im Fisch beruhen: In der Regel bedeutet jede Fischmahlzeit mehr auch eine Fleischmahlzeit weniger. Ernährungsmedizinische Vorteile einer fischreichen Ernährung könnten damit unter Umständen einfach auf die damit automatisch fleischärmere Ernährung zurückgehen. Und drittens ist die Studienlage zu dieser Frage alles Andere als eindeutig. Vielmehr ist das seit über 40 Jahre angesammelte Studienmaterial äußerst widersprüchlich.

Neue Analyse bekannter Daten

Nun hat eine Gruppe von Wissenschaftlern (Omega-3 Treatment Trialists’ Collaboration) einen neuen Versuch unternommen, um Licht in das Omega-3-Dunkel zu bringen: Dazu wurde eine Metaanalyse über zehn große (jeweils > 500 Teilnehmer) Einzelstudien durchgeführt. Teilnehmer waren Patienten mit Herzversagen, Schlaganfall oder einem hohen Risiko für kardiovaskuläre Erkrankungen. Alle Patienten erhielten über mindestens zwölf Monate entweder Placebo- und Omega-3-Präparate.

Bisherige Metaanalysen hatten einen großen Nachteil: Sie enthielten auch Studien, bei denen die Patienten zusätzlich zur Omega-3-Supplementation den Hinweis bekamen, sich fischreich zu ernähren – was die Ergebnisse natürlich verfälscht. Ziel der jetzt publizierten Metaanalyse (Aung et al. JAMA Cardiology 2018) war es zu überprüfen, ob es bei Patienten mit hohem kardiovaskulärem Risiko einen Zusammenhang zwischen der Einnahme von Omega-3-Supplementen und den Endpunkten tödliches Herzversagen, Herzinfarkt, Schlaganfall, kardivaskulären Ereignissen und Gesamtsterblichkeit gibt.

Ergebnisse sind eindeutig

Insgesamt nahmen 77.917 Patienten an den zehn Einzelstudien teil (61 % männlich, mittleres Alter 64 Jahre); die mittlere Beobachtungszeit der Studien betrug 4,4 Jahre. Im Laufe dieser Zeit kam es bei 6.273 Patienten zu kardiovaskulären Ereignissen. Die Dosisspanne der verwendeten Omega-3-Supplemente lag für Eicosapentaensäure bei 226 – 1.800 mg/Tag und für Docosahexaensäure bei 0 – 1.700 mg/Tag (in einer der zehn Studien wurde ausschließlich EPA supplementiert).

Für keinen der genannten Endpunkte gab es irgendeinen statistisch signifikanten Zusammenhang zwischen der Einnahme von Omega-3-Supplementen und der Häufigkeit der kardiovaskulären Ereignisse. Dieser Nicht-Zusammenhang zeigte sich sowohl für die Gesamtpopulation als auch für einzelne Subgruppen, z. B. für Patienten mit Diabetes oder Fettstoffwechselstörungen.

Die Schlussfolgerung der Studienautoren fiel entsprechend eindeutig aus: “Für die Anwendungsempfehlung  von Omega-3-Supplementen bei Patienten mit koronarer Herzkrankheit gibt es keine wissenschaftliche Grundlage.

Damit sollte die Diskussion für diesen Themenkomplex eigentlich beendet sein. Doch man kann sich sicher sein, dass sie von interessierter Seite weiter fortgeführt werden wird. Tatsächlich offen wäre ja auch mit dieser Studie die Frage, ob die Supplemente nicht vielleicht doch einen langfristigen Vorteil hätten – schließlich war der Beobachtungszeitraum von nur 4,4 Jahren recht kurz. Und erst Anfang 2016 hatten die Ergebnisse der LURIC-Studie für Aufsehen gesorgt, die vermeintlich einen kardiovaskulären Vorteil durch Omega-3-Supplemente zeigten. Was war da passiert?

Omega-3-Fettsäuren und Sterblichkeit

In die LURIC-Studie eingeschlossen waren 3.316 Teilnehmer, bei denen eine Koronarangiographie durchgeführt werden musste (Kleber et al. 2016). Dabei wurde auch der Gehalt an Omega-3-Fettsäuren in den Erythrozyten gemessen. Über eine mediane Beobachtungszeit von knapp zehn Jahren zeigte sich ein Zusammenhang zwischen der Konzentration von Omega-3-Fettsäuren in den roten Blutkörperchen und einem reduzierten Sterblichkeitsrisiko. Damit bestätigten die Ergebnisse der LURIC-Studie einen inversen (wenn auch nicht linearen) Zusammenhang zwischen dem Anteil von EPA und DHA in Erythrozyten und der Gesamtsterblichkeit der untersuchten Patienten. Diese Beobachtung deckt sich mit früheren Metaanalysen (Chowdhury et al. 2014). Ist das nicht eigentlich das gegenteilige Ergebnis der oben diskutieren Studie?

Vorsicht bei der Interpretation

Man darf jedoch einen Fehler nicht machen und aus den Ergebnisse der LURIC-Studie die Schlussfolgerung ziehen, eine Supplementation mit Omega-3-Fettsäuren würde sich positiv auf die Mortalität auswirken. Denn genau das hat die LURIC-Studie ebenso wenig gezeigt wie frühere Interventionsstudien.

Aus ernährungsmedizinischer Perspektive überrascht die Beobachtung des umgekehrten (inversen) Zusammenhangs von Omega-3-Fettsäure-Status und Sterblichkeit nämlich keineswegs. Grund hierfür ist allerdings nicht eine quasi-pharmakologische Wirkung der Omega-3-Fettsäuren; vielmehr ist der Omega-3-Fettsäure-Status ein Indikator für das langfristige Ernährungsverhalten der Probanden. So ist eine hohe Konzentration an Omega-3-Fettsäuren in den roten Blutkörperchen Folge einer Omega-3-Fettsäure-reichen Dauerernährung, also beispielsweise mit hohen Anteilen an Seefisch, pflanzlichen Ölen und Nüssen und mit geringem Fleischanteil. Dass diese Dauerernährung – auch in prospektiven Studien – tatsächlich zu einer niedrigeren kardiovaskulären und Gesamtmortalität führt, ist aber höchstwahrscheinlich nicht allein auf die Inhaltsstoffgruppe „Omega-3-Fettsäuren“ zurückzuführen. Vielmehr ist der protektive Effekt multifaktoriell durch die verschiedenen Komponenten einer fischhaltigen, ansonsten aber überwiegend ovo-lakto-vegetarischen Dauerernährung bedingt.

Hohe Omega-3-Konzentration zeigt gesunden Lebensstil an

Die hohe Omega-3-Fettsäure-Konzentration in den roten Blutkörperchen ist damit lediglich Indikator für eine Ernährungsform, die insgesamt reich an sekundären Pflanzenstoffen, Mikronährstoffen und Ballaststoffen und die umgekehrt arm an (verarbeiteten) Fleischprodukten ist. Nach dem aktuellen Stand des Wissens ist es diese Gesamtkonstellation, die zu einer Mortalitätsreduktion führt. Zudem sind gerade diese Ernährungsfaktoren ihrerseits mit soziokulturellen Faktoren (Bildung, Lebensstandard, gesundheitsbewusster Lebensstil) assoziiert, die ebenfalls direkt mit einem besseren Gesundheitszustand und einer geringen Mortalität zusammenhängen. Außer zum Alkoholkonsum wurden in der LURIC-Studie jedoch ausgerechnet zum gesamten Ernährungsverhalten der Patienten keinerlei Informationen erfasst, nicht einmal über den Konsum Omega-3-Fettsäure-haltiger Lebensmittel.

Kein Hinweis auf Wirksamkeit von Supplementen

Die Ergebnisse der LURIC-Studie erlauben damit definitiv keine Aussage darüber, ob sich eine Omega-3-Fettsäure-Supplementation in irgendeiner Weise auf die (kardiovaskuläre) Sterblichkeit auswirkt. Dieser Nicht-Zusammenhang wird nun durch die diskutierte Metaanalyse von Aung et al. bestätigt.

Entsprechend klar sind die aktuellen Empfehlungen der European Society Cardiology (ESC) (Piepoli et al. 2016) und der American Heart Association (AHA) (van Horn et al. 2016): Fisch sollte 1-2 mal pro Woche verzehrt werden (davon mindestens 1x fetter Seefisch), während die Einnahme von Fischöl-Supplementen nicht empfohlen wird („no benefit on cardiovascular outcomes“).

Patienten mit Atherosklerose oder weiteren kardiovaskulären Risikofaktoren, die eine leitliniengerechte Arzneimitteltherapie (Statine, ggf. auch ASS, Betablocker, ACE-Hemmer) erhalten, haben durch die Supplementation mit Omega-3-Fettsäuren keinen Zusatznutzen.

Fisch statt Kapseln

Zum Glück gibt es aber eine risikofreie und wirksame Intervention, die die Sterblichkeit auch in prospektiven Interventionsstudien signifikant senken konnte: die mediterrane Ernährung (Sofi et al. 2010; Estruch et al. 2013). Aufgrund dieser ernährungsmedizinischen Erkenntnisse sollte der Fokus in der Patientenberatung eindeutig auf einer protektiv wirksamen mediterranen Dauerernährung liegen und nicht auf unwirksamen Supplementen. Wenn man es so sehen will, liefert die LURIC-Studie auch hierfür ein weiteres, gutes Argument.

Ebenso wenig wie kardioprotekiv sind die Omega-3-Supplemente übrigens zur Prävention von Demenz-Erkrankungen wirksam. Doch bei einer spezifischen Anwendung zeigt die Studienlage tatsächlich eine Wirksamkeit: zur Asthma- und Allergie-Prävention bei Kindern.

Update (26.08.2018): Fischöl-Kapseln bei Diabetes

Am 26. August 2018 wurden im New England Journal of Medicine die lange erwarteten Ergebnisse der ASCEND-Studie veröffentlicht (Bowman et al. 2018): Dabei wurde erstmals in einer großen, randomisierten Studie untersucht, ob die Einnahme von Fischölkapseln Diabetiker vor Herz-Kreislauf-Erkrankungen schützt. Dazu erhielten 15.480 (!) Diabetiker über im Mittel 7,4 Jahre entweder Fischölkapseln oder ein Placebopräparat. Die einmal täglich eingenommene Fischölkapsel enthielt 380 mg Docosahexaensäure und 460 mg Eicosapentaensäure. Nach Ende der Studie zeigten sich zwischen Fischöl- und Placebogruppe keinerlei Unterschiede hinsichtlich der Häufigkeit von Herzinfarkten, Schlaganfällen, Herz-Kreislauf-bedingten Todesfällen oder Krebserkrankungen.

Das Fazit der Studienleiterin Louise Bowman ist bei der Vorstellung der Studienergebnisse entsprechend eindeutig: “Es gibt keine Rechtfertigung dafür, Fischölkapseln als Schutz vor Herzkreislauf-Erkrankungen zu empfehlen.”

Demgegenüber gibt es aktuelle Studienergebnisse (DiRECT-Studie), die tatsächlich wirksame diätetische Therapieansätze bei Diabetes zeigen – und zwar ganz ohne Supplemente.

5 Kommentare

  1. Vielen Dank für diese differenzierte Analyse, die im Gegensatz zu vielen “Versprechungen” bezüglich Kapseln mit Omega-3-Fettsäuren steht. Diese Versprechungen über die positive Wirkung eines isolierten Stoffes scheinen ja zumindest keinen Schaden anzurichten, was man vom isoliert angebotenem Beta-Carotin nicht sagen kann.

  2. Zum Hype über Omega-3 ist zu sagen, dass es aus einer Feststellung heraus entstanden ist, als die Dänen veröffentlichten, dass die Inuits auf Grönland (aber nur die, die sich nach alter Tradition ernährten) ca. 90% weniger Herzinfarktereignisse hatten als die Dänen in Dänemark (Bemerkung: Die Dänen sind Europameister im Schweinefleischverzehr).
    Darauf sind Wissenschaftler der Uni Kopenhagen nach Grönland geflogen, um zu untersuchen, woran das liegen könnte. Sie nahmen biometrische Daten auf, notierten die Ernährungsgewohnheiten der Bewohner und und und. Interessant, aber nicht ungewöhnlich war, dass die Nahrung sehr fettreich war (Lachs, Hering und Robben).

    Gerade der Zusammenhang von fettreicher Nahrung und fast keine Herzinfarkte beschäftigte die Wissenschaftler schon. So schickte man die Proben nach Kopenhagen zur Analyse. Beim Fett kam heraus, dass die einzigste Auffälligkeit war, dass dieses Fett einen hohen Anteil von Omega 3 Fettsäuren hatte. Man war sich offenbar schnell einig, dass dies die Antwort auf die gestellte Frage war. Die Veröffentlichung führte dazu, dass man in den Industiestaaten Rapsöl (hoher Omega-3 Anteil)nicht mehr in den Dieseltank schüttete, sondern in die Kehle. Nun bekamen sogar die Griechen Angst um ihr Olivenöl, sodass die Uni in Thessaloniki eine Vergleichsstudie auflegte, bei der heraus kam, dass die Mortalität bei allen gleich war.

    Etwas untersuchten die Dänen nicht (vermutlich wussten, bzw. sahen darin keinen Zusammenhang) den Vit. D-Spiegel. Jetzt scheint ein Zusammenhang zwischen den Inselbewohnern auf griechischen Inseln und den Inuits auf Grönland zu bestehen (beide Bevölkerungsgruppen haben eine sehr geringe Herzinfarktrate). Bei den Griechen scheint es nicht die mediterrane Kost, sondern die Sonne (Vit. D) und bei den Inuits die Nahrung (Hering,Robben u. der Lachs) sein, die viel Vit. D enthält.

    1. In der ursprünglichen Studie von Bang and Dyerberg aus den 1970er Jahren, die immer als Nachweis einer kardioprotektiven Wirkung von Omega-3-Fettsäuren angeführt wird, wurden lediglich Blutfettwerte untersucht; Krankheitsdaten inkl. Herzkreislauf-Erkrankungen wurden überhaupt nicht erfasst. Eine gute Übersicht, wie sich der Mythos der gesunden “Eskimo-Diät” halten konnte, gibt es hier: https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/25064579.
      Daneben gibt es neuere Studien die zeigen, dass es bei den Inuit trotz sehr hohen Fischkonsums eine erhöhte (!) Rate an Herzinfarkten gibt (was nicht verwundert): https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/30578133.
      Und das gilt nicht nur für moderne Inuit. Auch bei Inuit-Mumien aus dem 16. Jahrhundert, die körperlich sehr aktiv waren, naturnah lebten und sich fischreich (Omega-3-reich) ernährten, wurden erhebliche Atherosklerose nachgewiesen: https://jamanetwork.com/journals/jamanetworkopen/fullarticle/2757994?utm_source=facebook_twitter_linkedin&utm_medium=social_jn&utm_campaign=amplification&utm_term=manual_mb&fbclid=IwAR1Hv02UDL85L1v5vLH_9Qs4uWqKC9jufIJO8uLwbE-V7b0YnPZAmEvNEJw.

  3. Ich ziehe lieber den natürlichen frischen Fisch vor, da man ja ohnehin Lebensmittel zu sich nehmen muss. Ich weiß nicht, wie manche Familien das alles finanzieren sollen mit Lebensmittelausgaben und zusätzlichen Nahrungsergänzungsmitteln. Ist es da nicht viel logischer, direkt zu gesunden Lebensmitteln zu greifen?

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