Polyporus-Pilz gegen Lymphödeme?
Lymphödeme präsentieren sich im Praxisalltag häufig als Folge onkologischer Operationen, so z. B. nach der Operation von Mamma- oder Prostatakarzinomen. Viele Patienten suchen in dieser belastenden Situation Hilfe bei Nahrungsergänzungsmitteln, die häufig Bestandteile vom Polyporus-Pilz enthalten. Was sollte man dabei beachten?
Ursachen und Standardtherapie von Lymphödemen
Über Sven Bach (Praxis für Ernährungstherapie in Stuttgart und Horb) erreichte mich die Frage, ob die Einnahme eines bestimmten Nahrungsergänzungsmittels (s. Foto) zur Ausschwemmung von Lymphstaus nach Krebsoperationen sinnvoll ist. Das Präparat enthält neben Acerola als Hauptbestandteil Pulver des Polyporus-Pilzes.
Nicht nur nach der Operation von Mammakarzinomen, sondern auch als Folge der chirurgischen Entfernung von Tumoren im Bauch-/Unterbauchbereich kann es häufig zur Ausbildung von Lympödemen (Lymphstau) kommen. Als Ödem bezeichnet man allgemein eine pathologische Flüssigkeitsansammlung im Zellzwischenraum; dies kann als sekundäre Form auch nach Operationen oder Strahlentherapien auftreten, wenn dabei Lymphgefäße geschädigt oder gezielt entfernt wurden.
Die Standardtherapie von Lymphödemen besteht in der sog. Komplexen Physikalischen Entstauungstherapie (KPE), wie sie in der aktuellen Fassung der Leitlinie zur Diagnostik und Therpie der Lymphödeme (2017) beschrieben ist. Diese Entstauungstherapie umfasst die Kombination von Hautpflege, manueller Lymphdrainage (ggf. kombiniert mit weiteren manuellen Techniken), Kompressionstherapie sowie Sport-/Bewegungstherapie. Wie für eine Arzneimitteltherapie gibt es auch für diese physikalische Entstauungstherapie Kontraindikationen.
Lymphödeme: Ernährung und Arzneimittel
Es existiert keine spezielle “Lymphdiät”, die sich zur Therapie von Lymphödemen als wirksam erwiesen hätte. Eine Ausnahme bildet die MCT-Diät bei sehr seltenen Formen von Lymphgefäßanomalien, lymphostatischem enteralem Eiweißverlust oder bestimmten Refluxsyndromen. Zur kausalen medikamentösen Therapie von Lymphödemen gibt es zur Zeit auch keine Arzneimittel, obwohl die Beschwerden zumindest teilweise durch symptomatische Therapien verbessert werden können.
Es sollte jedoch daran gedacht werden, dass bestimmte Arzneimittel bestehende Lymphödeme verstärken können; hierzu gehören beispielsweise Blutdrucksenker vom Nifedipin-Typ (z. B. Nifedipin, Felodipin, Amlodipin, Nitrendipin, Lercanidipin), Phenylbutazon, Nebennierenrinden-Hormone und die sog. nicht-steroidalen Antiphlogistika (z. B. Diclofenac, Ibuprofen, Naproxen). Falls möglich, sollten bei Patienten mit Lymphödemen alternative Arzneimittel eingesetzt werden.
Hilfe durch den Polyporus-Pilz?
Angesichts dieser begrenzten therapeutischen Optionen suchen vielen Patienten mit Lymphödemen Hilfe durch Nahrungsergänzungsmittel. Dabei werden sehr häufig solche Präparate angewendet wie in der aktuellen Frage beschrieben – Hauptbestandteil ist in aller Regel Pulver vom Polyporus-Pilz. Was hat es damit auf sich?
Der deutsche Name des Polyporus-Pilzes (Polyporus umbellatus) lautet Eichhase. Die Fruchtkörper erreichen Durchmesser von 20 – 30 cm und können bis zu mehreren Kilogramm schwer sein. Der Polyporus-Pilz kommt in weiten Teilen von Europa, Amerika und Asien vor, und ist auch bei uns von der Nordseeküste bis zu den Alpen zu finden.
In der Traditionellen Chinesischen Medizin (TCM) ist die Anwendung des Polyporus-Pilzes weit verbreitet, weshalb er auch im aktuellen TCM-Arzneibuch aufgeführt wird. Die klassischen Anwendungen im Rahmen der TCM umfassen dabei die Ödemausschwemmung, die diuretische (harntreibende) Wirkung sowie (wie für sehr viele TCM-Arzneidrogen postuliert) eine “Antikrebswirkung”. In China findet zur fraglichen Wirksamkeit von Polyporus-Zubereitungen Einiges an Forschung statt; relativ gut zusammengefasst findet sich der Wissensstand bei Zhao 2013.
Polyporus-Pilz birgt auch Risiken
In der Anwendung des konkreten Nahrungsergänzungsmittels, aber auch bei Präparaten aus Polyporus-Pilz allgemein, ergeben sich einige Probleme:
- Es liegen keine systematischen Untersuchungen zur Toxizität vor. Viele Hersteller werben zwar mit dem Slogan “Wenn es toxisch wäre, wäre das schon längst aufgefallen.” – das stimmt aber leider so nicht. Denn: Auch Kräuter und Pilze, die seit Jahrtausenden in der Volksheilkunde angewendet bzw. verzehrt werden, können toxisch sein. Ohne systematische Untersuchung weiß man das aber nicht.
- Niemand weiß, auf welche potenziellen Toxizitätszeichen geachtet werden muss – systematische klinische Studien, die dies erfasst hätten, gibt es ja nicht. Das betrifft vor allem die häufig kritische Lebertoxizität.
- Die Wirksamkeit zur Ödemausschwemmung ist nur an Tieren gezeigt(Mäuse, Ratten, Hunde), was für einen Wirksamkeitsnachweis bei Menschen selbstverständlich nicht ausreicht. Zudem könnte sich eine vorhandene diuretische Wirkung sogar negativ auf Lymphödeme auswirken.
- Die angebotenen Nahrungsergänzungsmittel enthalten ausschließlich Pilze aus Wildsammlungen. Das klingt zwar “natürlich”, hat aber einen gravierenden Nachteil: Falls tatsächlich eine Wirksamkeit vorhanden wäre und eine toxische Wirkung sicher ausgeschlossen werden könnte, gäbe es noch immer ein anderes Problem. In Wildsammlungen ohne Qualitätskontrolle kann der Gehalt an Inhaltsstoffen sehr stark schwanken – und zwar auch der Gehalt von toxischen Produkten. Der Anwender solcher Präparate weiß daher nie, was und wieviel im jeweiligen Produkt tatsächlich enthalten ist.
- Nebenbei: Für Polyporus-Zubereitungen sind in der EU keine Health Claims zugelassen, da es keine fundierten Daten zu Wirksamkeit oder Sicherheit gibt. Das bedeutet, dass Polyporus-haltige Präparate (aber auch das Rohprodukt) in keiner Weise mit gesundheitsbezogenen Effekten beworben werden dürfen – und das gilt ebenfalls für die “mündliche Empfehlung” solcher Präparate. Entsprechende Anwendungen dürfen daher in der Ernährungstherapie nicht mit dem Hinweis auf mögliche gesundheitliche Wirkungen empfohlen werden. Was der Betroffene selbst tut, steht natürlich auf einem anderen Blatt.
Polyporus-Pilz: Nicht verwenden, nicht empfehlen.
Als Fazit rate ich von der Anwendung Polyporus-haltiger Nahrungsergänzungsmittel deutlich ab; und zwar nicht, weil sie nachgewiesen gefährlich wären, sondern weil umgekehrt weder eine zuverlässige Wirkung noch die Unbedenklichkeit (Sicherheit) systematisch untersucht und belegt sind.
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Laut https://www.mooci.org/allgemeinmedizin/oedem-wasser-in-den-beinen/ sind vor allem Personen ab 40 gefährdet.
Zu welchen Arzt sollte man denn gehen wenn man betroffen ist?
lg Julia
Die Hausärztin/der Hausarzt ist dafür der erste gute Kontakt.