Krebs durch Infektionserreger aus Milch und Fleisch?

Werden Darmkrebs und Brustkrebs durch bisher unbekannte Infektionserreger verursacht, die in Kuhmilch und Rindfleisch vorkommen? Die aktuellsten Erkenntnisse zu dieser brisanten Hypothese wurden heute am Deutschen Krebsforschungszentrum in Heidelberg vorgestellt.

Am Vormittag des 26. Februar 2019 fand im Konferenzraum DO.02.032/34 des Deutschen Krebsforschungszentrum (DKFZ) in Heidelberg eine denkwürdige Pressekonferenz statt. Unter dem Titel “Neuartige Infektionserreger als Krebsrisikofaktoren“ präsentierten die Wissenschaftler um den deutschen Nobelpreisträger Harald zur Hausen die Ergebnisse ihrer Arbeiten aus den letzten Jahren.

Frühkindliche Lebensmittelinfektion als spätere Krebsursache?

Die aufsehenerregende Hypothese der Forscher: Eine frühkindliche Infektion mit Erregern aus Kuhmilch und Rindfleisch (sog. Bovine Milk and Meat Factors, BMMF) kann das Risiko für Darmkrebs und möglicherweise auch für andere Krebsarten und chronische Erkrankungen drastisch erhöhen. Diese Vermutung beruhte bislang allein auf epidemiologischen Beobachtungen und wurde nun durch neue Forschungsergebnisse untermauert. Der aktuelle Stand des Wissens ist der nun im International Journal of Cancer publizierten Übersicht zusammengefasst (zur Hausen et al. 2019).

Bevor man diese Hypothese für Unsinn erklärt, sollte man sich vor Augen führen, dass Harald zur Hausen nicht irgendein Nobelpreisträger oder Vegan-Aktivist ist. Er ist einer der renommiertesten Krebsforscher weltweit, und sein spezielles Forschungsgebiet ist seit Jahrzehnten die Krebsentstehung infolge von Virusinfektionen. So ist die Tatsache, dass es seit 2006 einen Impfstoff zur Prävention von Gebärmutterhalskrebs gibt, ohne seine Forschungen undenkbar. Bereits 1976 hatte er die Hypothese publiziert, dass humane Papillomviren (HPV) wesentlich an der Entstehung von Gebärmutterhalskrebs beteiligt sind.

Jahrzehntelang wurde Harald zur Hausen für die Hypothese, bei bestimmten Krebsformen könne es sich um Folgen einer Infektion handeln, angefeindet und verspottet. Inzwischen hat seine Arbeit die Prävention des Gebärmutterhalskrebses revolutioniert. Es könnte sein, dass die nun präsentierten Daten einen ähnlichen Paradigmenwechsel beim Darmkrebs bringen.

BMMF als indirekte Karzinogene

Die in Kuhmilch und Rindfleisch vorkommenden BMMF sind nicht direkt krebserregend, sondern sie fungieren vermutlich als indirekte Karzinogene. Das heißt, sie erzeugen ein krebsauslösende (meist entzündliche) Umgebung, die die Entartung der menschlichen Zellen fördert. Bekannte Beispiele dieser indirekten Karzinogene sind neben den humanen Papillomviren (für Gebärmutterhalskrebs) auch die Hepatitis-C-Viren als Ursache von Leberkrebs.

Praktische Konsequenzen

Die Details dieser bahnbrechenden Daten sind in der Pressemitteilung des DKFZ sehr anschaulich zusammengefasst (hier). Die Wissenschaftler gehen (gut begründet) davon aus, dass sich Säuglinge sehr früh über Kuhmilch mit den Erregern infizieren, da ihr Immunsystem insbesondere im Darm noch nicht ausgereift ist.

Daraus folgt: Als Erwachsener wird der Verzicht auf Rindfleisch und Milchprodukte vermutlich keinerlei protektive Wirkung mehr zeigen. Allerdings raten die Forscher auf Grundlage ihrer Daten explizit davon ab, Säuglinge frühzeitig mit Kuhmilchprodukten zu füttern. Ab einem Alter von ungefähr einem Jahr ist das Kind wahrscheinlich ausreichend immunkompetent. Möglicherweise kann auch ein verlängertes Stillen der Säuglinge (länger als sechs Monate) vor einer Infektion schützen.

Die nächsten Schritte der Forschung werden jetzt dahin gehen, nach Möglichkeiten der Impfprävention zu suchen. Weitere Konsequenzen werden sich vermutlich für Ernährungsempfehlungen und die Beikosteinführung bei Säuglingen ergeben.Der Blick auf die inzwischen etablierte HPV-Impfung zeigt, dass die Idee einer Schutzimpfung vor Darmkrebs seit heute eine solide wissenschaftliche Basis hat.

5 Kommentare

  1. Hallo Herr Smollich,
    sind BMMF hitzestabil – und wenn ja, bei welchen Temperaturen/Zeiten sterben sie ab? Die Antwort beantwortet möglicherweise meine weiteren Fragen: Bezieht sich die Empfehlung bei Säuglingen nur auf Frischmilch oder auf auf pasteurisierte/ESL/hocherhitzte Milch? Warum wird nicht vom Rindfleischkonsum bei Säuglingen abgeraten – spielt hier das Garen eine Rolle?
    Danke für eine Rückmeldung, M. Jürgensen

    1. Hallo Herr Jürgensen,
      da die Forschung zu den BMMF bislang noch ganz am Anfang steht, gibt es auf all Ihre Fragen keine zuverlässige Antwort. Alles, was man bisher dazu weiß, ist in dieser aktuellen Publikation zusammengefasst (hier). Über die Hitzestabilität der BMMF (garen, pasteurisieren) kann zum jetzigen Zeitpunkt nur spekuliert werden. Da es sich bei BMMF jedoch nicht um Lebewesen, sondern um DNA handelt, ist es auch vorstellbar, dass diese DNA höhere Temperaturen übersteht, als das bei Bakterien der Fall wäre.

  2. Milch auch in der Kindheit getrunken. Habe immer gemeint, das Rind wird durch die richtigen Impfungen geschützt. Die sollten doch sowohl die Tiere, als auch uns selbst vor den Erregern schützen.

  3. Hallo Prof. Smollich,

    Mit Interesse verfolge ich die Diskussion bzgl. BMMF.
    Wie ist es denn bei Babys die mit einer Pre-Nahrung gefüttert wurden und nicht gestillt wurden. Da Pre-Nahrung ja Magermilch und Molkenerzeugnis enthält, ist es dann auch sinnvoll in der Beikost bis zum ersten Lebensjahr auf Milch- und Rindfleischprodukte zu verzichten?

    Ich freue mich auf ihre Antwort.

    L. Schnathmann

    1. Auf diese Frage gibt es leider noch keine abschließende Antwort. Die Ableitung von praktischen Handlungsempfehlungen aus den BMMF-Daten steht noch ganz am Anfang und wäre zum jetzigen Zeitpunkt unseriös. Die nächste Zeit wird hier aber sicher spannende neue Erkenntnisse liefern.

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