Uta Köpcke: „Akademisierung unseres Berufsstandes ist essentiell“

Die rasanten Entwicklungen in der Ernährungsmedizin stellen neue Anforderungen an die Qualifikation der Ernährungsfachkräfte. Uta Köpcke, Präsidentin des Verbandes der Diätassistenten, sieht in der Akademisierung eine wichtige Entwicklung und skizziert im Interview für Ernaehrungsmedizin.blog ihre Agenda für die nächsten Jahre.

Große Herausforderungen für Ernährungsfachkräfte

Ernährungsthemen sind in der Mitte der Gesellschaft ebenso angekommen wie in der Politik: Einerseits dient Ernährung längst nicht mehr allein der Nährstoffzufuhr, sondern ist essentielles Lifestyle-Element und soziales Distinktionsmerkmal. Andererseits haben es Themen wie Zuckersteuer, Lebensmittelampel oder Initiativen gegen Lebensmittelverschwendung bis auf die bundespolitische Agenda geschafft.

Diese Entwicklungen bringen auch für die verschiedenen Berufs- und Fachverbände große Herausforderungen mit sich. Für Diätassistentinnen und Diätassistenten, die in Deutschland an rund 50 Diätschulen ausgebildet werden, stellt sich neben der inhaltlichen Profilierung zudem die Frage nach dem Potenzial einer Akademisierung, wie sie in anderen Berufsgruppen in den vergangenen Jahren bereits vollzogen wurde. Innovative Studiengänge auf dem Gebiet von Ernährungsmedizin und Diätetik stellen zusätzlich die Systemfrage nach einem optimalen, zukunftsfähigen Ausbildungskonzept.

Uta Köpcke, Präsidentin des Verbandes der Diätassistenten, im Interview

MS: Sehr geehrte Frau Köpcke, in vielen europäischen Ländern ist für die Berufstätigkeit auf dem Gebiet der Diätetik mindestens ein Bachelorabschluss erforderlich. Sehen Sie im deutschen Diätschulen-System demgegenüber auch besondere Vorteile?

UK: Auf alle Fälle, denn unsere Praxis-Orientierung stattet uns natürlich auch mit sehr praxisnahen und somit auch patientennahen Kompetenzen aus. Wenn Menschen ihren Lebensstil und Ess-Stil ändern müssen, bedarf es ganz gemäß ihrer Bedürfnisse der Kompetenz der Diätassistenten, sie beim Einkaufen und Zubereiten zu unterstützen. Marktkenntnisse, Lebensmittelkenntnisse und natürlich auch Koch- und Küchentechnik sind hier gefragt und haben in der deutschen Ausbildung einen höheren Stellenwert als in den Studiengängen der europäischen Kollegen.

Auch die Intensität im Bereich Beratung ist aufgrund der Klassengrößen in der deutschen Ausbildung günstig. Den hohen Anteil der Praktika finde ich ebenfalls gut, er ermöglicht Praxiseinblicke über einen längeren Zeitraum. Allerdings bedarf es hier Qualitätsstandards der Praktikumsplätze und der Praktikumsanleiter.

MS: Kommen bei diesem ausgeprägten Fokus auf der Praxis möglicherweise einige Aspekte zu kurz? Beispielsweise dann, wenn es um die wissenschaftliche Beurteilung von Ernährungsempfehlungen, das kritische Lesen aktueller Studien oder um die Arbeit mit medizinischen Leitlinien geht? All dies sind ja Dinge, die für die eigenverantwortliche Durchführung ernährungsmedizinischer Maßnahmen ebenfalls erforderlich sind.

UK: Die Diätassistenten Ausbildungs- und Prüfungsverordnung trat 1996 in Kraft (DiätAss-APrV). Sie entspricht in diesen Punkten sicher nicht mehr den derzeitigen Bedürfnissen. Die europäischen Empfehlungen zu den Kompetenz-Standards für dietitians bei Berufseintritt beinhalten diese angesprochenen Kompetenzen und es bedarf dringender Überarbeitung der deutschen Ausbildungsrichtlinien (EFAD 2005).

Und dennoch bietet diese Ausbildungsrichtlinie einen klaren Vorteil zu Studiengängen, da diese aufgrund der Freiheit der Lehre viel beinhalten können, aber nicht müssen und jeder Student eigene Schwerpunkte innerhalb der Angebote wählen kann. Nicht umsonst gibt es für die Akademisierung anderer Heilberufe die Modellklauselstudiengänge.

„Ein duales Studium wäre mein Traum.” Uta Köpcke, Präsidentin des Verbandes der DIätassistenten (Foto: © Uta Köpcke).

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MS: Welchen Stellenwert haben für Sie die verschiedenen Ansätze zur Akademisierung von Diätassistenten?

UK: Dass eine Akademisierung für den Berufsstand essentiell ist, sehe ich als zwingend, um Wissenschaftlichkeit im täglichen Tun zu intensivieren, wissenschaftliche Aktivität zu stimulieren und dadurch als Profession sichtbar zu werden. Da wir nicht in der Modellklausel enthalten sind, haben wir als Berufsgruppe die Chance, verschiedene Studienansätze zu nutzen und eigentlich sogar auszuprobieren. Alle Varianten bieten Vor- und Nachteile. Es ist sehr abhängig von der individuellen Situation, welche die jeweils optimale Variante darstellt. Ich habe den Eindruck, dass aufgrund unserer Situation die derzeitigen Bachelor-Absolventinnen in Diätetik z. B. deutlich höher qualifiziert sind als im Ausland und es ist notwendig, auch langjährig aktiven Diätassistenten einen smarten Zugang zum Studium zu ermöglichen. Ein duales Studium, modulartig aufgebaut und berufsbegleitend, wäre mein Traum.

MS: Die Berufsbezeichnung „Diätassistent“ steht in der Öffentlichkeit oft im Widerspruch zum Ausbildungsziel der eigenverantwortlichen Durchführung diättherapeutischer und ernährungsmedizinischer Maßnahmen – häufig wird „Diätassistenz“ lediglich als Hilfspersonal zur Gewichtsreduktion verstanden. Sollte mittelfristig daran gearbeitet werden, diese Berufsbezeichnung an das tatsächliche Kompetenzprofil anzupassen?

UK: Natürlich! Wir arbeiten seit Jahren daran!

MS: Was wäre Ihr Favorit einer besser geeigneten Berufsbezeichnung?

UK: In diesem Punkt bin ich zwiegespalten. Es macht in meinen Augen Sinn, im deutschsprachigen Raum die gleiche Bezeichnung zu verwenden. In Österrreich spricht man von „Diätologen“, in der Schweiz von „Ernährungstherapeuten“ mit der Zusatzbezeichnung des Verbandes. Diätologen passt zu dem deutschen Wort der Podologen, ist aber für die Endverbraucher bzw. Patienten wieder mit dem negativ besetzten Begriff „Diät“ verknüpft. Unter „Ernährungstherapeut“ könnte sich vermutlich die Bevölkerung, aber auch andere Heilberufe deutlich mehr vorstellen. Allerdings wäre dies nur eine Option, wenn der Begriff tatsächlich geschützt wäre.

MS: Sie selbst haben nach der Ausbildung zur Diätassistentin noch Erziehungswissenschaften studiert. Welche Studiengänge würden Sie Diätassistentinnen empfehlen, die sich beruflich weiterentwickeln möchten?

UK: Für mich persönlich war es optimal, nach der Ausbildung für einige Jahre berufstätig zu sein. Dadurch haben sich meine Interessen geschärft, mir wurden meine Stärken und Schwächen klarer. So konnte ich in dem schon damals großen Angebot für mich passend auswählen. Ich erlebe immer wieder, dass Kollegen in den Bereichen, die sie lieben, am meisten Energie aufbringen können, am meisten leisten können und auch den besten Blick für Bedarf und Trends entwickeln.

Daher würde ich allen empfehlen, zunächst Erfahrungen zu sammeln und dann genau das zu studieren, was ihnen am meisten Spaß macht, was sich mit den Interessen trifft. Die Chancen auf einen bestimmten Titel oder auf einen festen, lukrativen Arbeitsplatz sind sowieso nicht garantiert und geben einem mittel- und langfristig nicht die Motivation, die Arbeit eines Studiums auf sich zu nehmen.

MS: Warum sollte eine Abiturientin die Ausbildung zur Diätassistentin machen, statt Oecotrophologie zu studieren?

UK: Die Ausbildung ist eine klar umrissene, strukturierte Zeit, die zu einem tollen, vielfältigen Berufsbild führt. Sie steht im Leben und qualifiziert dafür. An vielen Stellen bildet die Ausbildung ein gutes solides Gerüst, was durch ein angehängtes Studium perfekt ergänzt werden kann.

MS: Wie möchten Sie dazu beitragen, dass das Kompetenzprofil von Diätassistentinnen in der Öffentlichkeit geschärft wird?

UK: Ich möchte zunächst gerne das Kompetenzprofil der Diätassistenten für die Zukunft entwickeln, mit den Diätassistenten, aber auch mit Stakeholdern. Dieses in qualitätsgesicherte Aus- und Fortbildung zu übersetzen wird eine große Aufgabe. Dadurch erhoffe ich mir aber schon mehr Kommunikation mit zuständigen Ministerien, Arbeitgebern und Kollegen in allen Bereichen, Ausbildern/Studienleitern und Krankenkassen, Ärzten, Pharmazeuten und Medizinischen Fachberufen, Verbänden angrenzender Berufsgruppen und Patientengruppen.

Durch ein zu entwickelndes Kommunikationskonzept möchte ich mithelfen, die unterschiedlichen Teile der Öffentlichkeit zu informieren. Natürlich werden wir dabei schon bestehende Kontakte und Projekte mit einbauen und weiter pflegen. Also Kompetenzen erarbeiten, Kompetenzen vermitteln, kontrollieren, Netzwerke verbessern, Kommunikation im Netzwerk professionell gestalten.

MS: Welche Kompetenz von Diätassistentinnen möchten Sie dabei besonders in den Vordergrund stellen?

UK: Diätassistenten sollten nach meiner Ansicht in den verschiedenen Arbeitsfeldern Prävention, Ernährungstherapie und Verpflegungsmanagement wie Katalysatoren sein, die das Hintergrundwissen zu den Anforderungen haben, Bedarf und Bedürfnisse analysieren und  gemäß der jeweiligen Situation bzw. den Bedürfnissen der Klienten methodisch und inhaltlich gemeinsam mit diesen optimale Lösungen finden. Dazu bedarf es fundiertes Wissen in Theorie und Praxis, den Willen sich ständig fortzubilden und ein hohes Maß an Empathie.

MS: Was sehen Sie als die drängendste berufspolitische Frage, der Sie sich als Präsidentin des Verbandes der Diätassistenten widmen möchten?

UK: Das Diätassistentengesetz muss dringend überarbeitet werden. Auf der Prioritätenliste des Bundesministeriums für Gesundheit steht dies natürlich nicht auf oberster Stelle, d. h. wir müssen selbst aktiv werden, wie gesagt unser Kompetenzprofil überarbeiten, Vorschläge für die Ausbildung mit verschiedenen Lösungs- und Umsetzungsoptionen entwickeln. Dies müssen wir mit diversen Partnern gemeinsam machen, welche es zu finden gilt.

Wichtig ist, dass wir Diätassistenten uns immer als eine Berufsgruppe sehen, egal ob mit oder ohne Akademisierung und an einem Strang ziehen. Das heißt es zu unterstützen.

Ein wichtiges Ziel stellt für mich der Therapievorbehalt dar und gleichzeitig ein gesicherter, strukturierter Zugang dazu von „Quereinsteigern“. Hierfür gibt es z. Zt. in Deutschland keine Regeln bzw. werden diese nicht umgesetzt, was im Sinne der Patientensicherheit höchst bedenklich ist. In Österreich z. B. gibt es hierfür klare Regelungen, was ich für dringend notwendig erachte.

MS: Was hilft Ihnen beim täglichen Kampf gegen berufspolitische Windmühlen?

UK: Lachen, über mich selbst und mit netten Menschen, inner- und außerhalb des Windmühlenradius. Eine große Hilfe ist natürlich auch mein Wohnort sozusagen hinter den Bergen bei den sieben Zwergen und meine Familie, die sehr erdet … und ablenkt :-).

MS: Frau Köpcke, haben Sie vielen Dank für das interessante Gespräch.

Uta Köpcke ist Präsidentin des Verbandes der Diätassistenten – Deutscher Bundesverband e. V. (VDD). Der VDD ist die berufsständische Vertretung der Diätassistenten in Deutschland, in dem rund 4.500 Diätassistenten und Diätassistentinnen organisiert sind.

2 Kommentare

  1. Als PflegeExperte mit rund 35jähriger Berufserfahrung (Klinik und Homecare) – u.a. in der medizinischen Ernährungstherapie – vermißte ich schon immer eine qualifizierte Ernährungsberatung, welche über den „Tellerrand“ hinausging. Wie geht es weiter, wenn der Mensch auf Grund von Erkrankungen oder Einschränkungen nicht mehr (ausreichend) oral ernährt werden kann?
    Eigentlich beginnt es schon bei einer qualifizierten Ermittlung des Bedarfs … und gipfelt in der praktischen Umsetzung:
    Supplementierung! Trinknahrung? Zufuhr per Sonde? Parenterale Ernährung?
    Diätassistent(inn)en haben spätestens an dieser Stelle die Grenze erreicht, für Pflegekräfte gibt es (leider) keine entsprechenden (Fach)Weiterbildungen. Die meisten Ärzte fühlen sich nicht wirklich zuständig.
    Was nutzt es, wenn eine Fachklinik für Dermatologie dem Patienten eine Allergie u.a. auf „Peru-Balsam“ bescheinigt und entsprechende Hinweise bzgl. Hautpflege gibt – jedoch keine Ernährungsberatung empfiehlt? Natürlich müßte man dazu erst einmal wissen, was dies miteinander zu tun hat …
    Viele Ärzte hätten bestimmt gern einen (akademisierten) Ansprechpartner zum Thema Ernährung(stherapie) – von der bioelektrischen Impedanzanalyse, unter Berücksichtigung diverser Laborwerte und Diagnosen, … bis zum fertigen Ernährungsplan, inklusive Planung bei Erforderlichkeit einer medizinischen Intervention!

    Bliebe noch „Ernährungs-Fachkraft“ (wie „Pflege-Fachkraft”) – und als Abschluß der Ausbildung ein Fachschul-Examen! (Konnte noch nie verstehen, wieso es „nur“ eine Berufs-Ausbildung ist …)
    Darauf könnte man Fach-Weiterbildungen aufbauen, z.B. „Ernährungs-Experte für …“, z.B. „… Medizinische Ernährung“, was eine Berechtigung zur Anwendung beinhalten könnte (Versorgung von Ernährungs-Sonden und Port/ZVK), was momentan nur von Ärzten oder Pflege-Fachkäften durchgeführt werden darf.
    Stichwort: „Cross-over-Qualifikationen“!

    PS.:
    Bezüglich der Aus-, Fort- und Weiterbildung kann ich sehr gut die Unzufriedenheit nachempfinden. Ich bin Kritiker (mit Lösungsvorschlägen) seit über 25 Jahren – vor allem aus der Sicht der Krankenpflege. Aber das ist eine andere Baustelle.

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