Neu erschienen: “Ernährungsmedizin”

Das erstmals 1995 von Hans K. Biesalski und Co-Herausgebern publizierte Buch „Ernährungsmedizin“ hat sich seither zu einem Standardwerk des Fachs entwickelt. Die jetzt erschienene fünfte Auflage entwickelt das erfolgreiche Konzept weiter und ergänzt aktuelle Themen. Einige Kapitel fallen jedoch überraschend kurz aus.

Verändertes Herausgebergremium

Sieben Jahre nach der Vorauflage ist das Standardwerk „Ernährungsmedizin“ nun in der fünften, vollständig überarbeiteten und erweiterten Auflage erschienen. Dabei hat sich die herausgeberische Zusammensetzung verändert: Während Hans K. Biesalski und Stephan C. Bischoff auch diesmal wieder verantwortlich zeichnen, ist Christoph Puchstein aus Altersgründen aus dem Herausgebergremium ausgeschieden; an seine Stelle treten die renommierten Ernährungsmediziner Matthias Pirlich und Arved Weimann.

Neben den eigenen Beiträgen der vier Herausgeber war es sicherlich eine enorme Leistung, die von insgesamt 87 (!) Autorinnen und Autoren beigetragenen Inhalte zu ordnen, aufeinander abzustimmen und zu einem in sich schlüssigen Gesamtwerk zu ordnen. Diese große Zahl an Mitwirkenden spiegelt vollkommen zu Recht die außerordentliche Diversität und die interdisziplinäre Ausrichtung der modernen Ernährungsmedizin wider. Das Ergebnis dieses Aufwandes kann sich sehen lassen.

Ein weiterer Erfolg von Herausgebern und Verlag besteht darin, dass sie den Umfang des Buches im Vergleich zur Vorauflage nicht haben anwachsen lassen (4. Auflage: 1160 Seiten, 5. Auflage: 1064 Seiten). Leider sieht man allzu oft, dass bei Neuauflagen das alte Manuskript einfach ungesehen um zusätzliche Aktualisierungen ergänzt wird, wodurch die Seitenzahl anwächst und die Qualität leidet. Das ist hier nicht der Fall: Obsolete Inhalte wurden gestrichen, und so ist der Umfang trotz zahlreicher neuer Inhalte quantitativ praktisch unverändert geblieben.

Stringente Gliederung mit neuen Inhalten

Die gut 1.000 Seiten Ernährungsmedizin gliedern sich in insgesamt 73 Kapitel. Am Anfang jedes Kapitels findet sich ein Kasten „Das Wichtigste in Kürze“ inkl. Keywords, was eine rasche Einordnung ermöglicht. Die Literaturangaben stehen am Ende jedes Kapitels, und der Fließtext wird durch graphisch hervorragende Abbildungen, sinnvolle Tabellen und sehr viele, prägnant formulierte „Hinweise für die Praxis“ aufgelockert und leicht zugänglich gemacht.

  • Teil I (Grundlagen der Ernährung, ca. 200 Seiten) fasst das Grundlagenwissen zu Makro-/Mikronährstoffen, Spurenelementen und sekundären Pflanzenstoffen zusammen. Daneben wurde ein neues Kapitel zur Selfish-Brain-Hypothese („-Theorie“) eingefügt. In einigen Abschnitten erscheint dieser biochemisch-physiologische Grundlagenteil als etwas zu ausführlich, was grundsätzlich kein Problem wäre, wenn dafür nicht an anderer, klinisch relevanter Stelle Abstriche im Umfang gemacht werden würden.
  • Teil II (Lebensmittel und Qualitätssicherung, ca. 90 Seiten) liefert die Grundlagen von Lebensmittelverarbeitung, -kunde, -toxikologie und -recht; daneben finden sich hier mehrere neue Kapitel, so zum intestinalen Mikrobiom, zur Ernährung in Betriebskantinen, zum Care Catering und zu Mikronährstoffen in der parenteralen Ernährung. Die einzelnen Kapitel sind recht knapp gehalten: So umfasst das Kapitel zur Lebensmitteltoxikologie mit dem Schwerpunkt auf allgemeinen toxikologischen Zusammenhängen nur 18 Seiten; das einzige Kapitel des Buches zum intestinalen Mikrobiom bescheidet sich sogar mit lediglich vier Seiten. Diese Kürze ist auf den ersten Blick – und erst recht für den ernährungsmedizinisch vorgebildeten Leser – zwar etwas enttäuschend; doch die Herausgeber sind für diese strenge Umfangbegrenzung zu loben, denn damit kommen sie der Orientierung am Curriculum der Bundesärztekammer ebenso nach wie dem Anspruch des Buches, ein Grundlagenwerk zu sein, das das Feld der Ernährungsmedizin in seiner ganzen Breite abdeckt. Abstriche an der inhaltliche Tiefe sind da unvermeidlich.
  • Teil III (Ernährung in verschiedenen Lebensphasen, ca. 100 Seiten) erläutert die ernährungsmedizinischen Aspekte in allen Lebensphasen sowie bei Schwangeren, Stillenden, Sportlern und in der Rehabilitationsmedizin. Das Kapitel zur vegetarischen und veganen Ernährung wurde aus dem Kapitel „Alternative Kostformen“ herausgenommen und steht nun eigenständig. Aufgrund der zunehmenden Verbreitung vegetarischer und veganer Kostformen wäre es hier – gerade im Hinblick auf die niedergelassenen ärztlichen Kolleginnen und Kollegen – sinnvoll gewesen, Hinweise zu Kautelen und konkrete Empfehlungen zur Lebensmittelauswahl und Supplementation in die Kapitel zur Ernährung in Schwangerschaft und Stillzeit bzw. zur Kinderernährung zu integrieren.
  • Teil IV (Grundlagen der Ernährungsmedizin, ca. 150 Seiten) fasst sehr viele unterschiedliche Themen zusammen, so u. a. die Bestimmung des Ernährungszustands, die Organisation von Ernährungsteams, die enterale und parenterale Ernährung, die Immunonutrition sowie die Anwendung von Mikronährstoffsupplementen, Prä- und Probiotika.
  • Teil V (Überernährung und metabolische Erkrankungen, ca. 130 Seiten) widmet sich den Themen Übergewicht/Adipositas inkl. bariatrischer Chirurgie, Diabetes, metabolischem Syndrom, Fettstoffwechselstörungen, Hyperurikämie/Gicht und rheumatoider Arthritis. Die Ernährungstherapie der Bluthochdruck-Erkrankungen erhält hier kein eigenes Kapitel, sondern versteckt sich innerhalb des zehnseitigen Kapitels “Herz- und Gefäßkrankheiten”; die DASH-Diät wird an dieser Stelle nicht diskutiert. Diesen Inhalten stehen in Teil VI (Mangelernährung, ca. 220 Seiten) nicht nur die großen Felder Kachexie, Sarkopenie, Frailty und „Hidden Hunger“ gegenüber, sondern auch die ernährungsmedizinischen Aspekte zahlreicher Erkrankungen (u.a. Intensivpatienten, Alkoholismus, Gastroenterologie, Nephrologie, Neurologie).
  • Teil VII (Nahrungsmittelunverträglichkeiten, ca. 70 Seiten) behandelt – allerdings auf lediglich 20 Seiten – die Nahrungsmittelunverträglichkeiten sowie den Iodstoffwechsel, angeborene Stoffwechselerkrankungen und Hautkrankheiten.

“Ernährungsmedizin” ist ein Standardwerk

Dem Anspruch des Buches, für sämtliche Aspekte der aktuellen und wissenschaftlich fundierten Ernährungsmedizin eine klinisch ausgerichtete, zuverlässige Basis zu liefern, wird die fünfte Auflage der „Ernährungsmedizin“ voll und ganz gerecht.

Die Inhalte sind auf dem aktuellsten Stand des Wissens, die graphische Gestaltung ist durchgehend sehr gut, und über den im Buch angegebenen Zugangs-Code ist das Buch auch Online nutzbar.

Bei der Quellenangabe wäre es sinnvoll, die Literaturstellen am Ende des Kapitels direkt im Text zu verankern; das entspricht ohnehin dem wissenschaftlichen Standard und würde dem Leser den Zugriff auf die genannte Primärliteratur deutlich erleichtern.

Abstriche an der inhaltlichen Tiefe sind aufgrund der Konzeption des Werkes unvermeidlich. Einige Aspekte kommen für ein ernährungsmedizinisches Fachbuch jedoch sehr kurz daher, so z. B. Zöliakie (zwei Buchseiten), chronisch-entzündliche Darmerkrankungen (drei Buchseiten), bakterielle Fehlbesiedlung des Dünndarms (wenige Sätze), Laktoseintoleranz (zwei Sätze) oder Fruktosemalabsorption (drei Sätze). Hier wäre vielleicht eine klinisch orientierte, ausführlichere Darstellung wünschenswert, wie zum Beispiel im praxisnah gestalteten Kapitel zur Tumorkachexie bereits geschehen. Einiges Einsparpotenzial gäbe es im Gegenzug im sehr umfangreichen Teil I zu den (ernährungs)physiologischen Grundlagen.

Trotz dieser Abstriche kann die vorliegende Neuauflage der „Ernährungspraxis“ jedem ans Herz gelegt werden, der neu in die Ernährungsmedizin einsteigt und sich eine solide Basis schaffen möchte. Für die praxisnahe Vertiefung der Einzelthemen kann auf die entsprechende Spezialliteratur zurückgegriffen werden.

Biesalski/Bischoff/Pirlich/Weimann (Hrsg) „Ernährungsmedizin. Nach dem Curriculum der Bundesärztekammer“, Gebundene Ausgabe, 1064 Seiten, 5. Auflage, Thieme 2017. 99,99 EUR.

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