Cranberry zur Vorbeugung von Harnwegsinfekten?

Immer wieder wird die Frage diskutiert, ob Cranberry-Beeren in Form von Saft, Kapseln oder in Rohform vor Harnwegsinfekten schützen können; eine aktuelle Studie liefert hier wichtige Antworten und sorgt damit endlich für Klarheit. Doch die Diskussion wird wohl trotzdem weitergehen.

Cranberry im Vergleich zu Placebo

In einer aktuellen, im amerikanischen Ärzteblatt (JAMA) publizierten Studie untersuchten Juthani-Mehta et al. von der Yale University School of Medicine die praxisrelevante Frage, ob Cranberry-Kapseln zur Prävention von Harnwegsinfekten bei älteren Frauen in Altenpflegeeinrichtungen wirksam sind (Juthani-Mehta M et al. 2016). In einem randomisierten, doppelblinden und placebokontrollierten Studiendesign erhielten 185 Frauen (65 Jahre und älter), die in Altenpflegeeinrichtungen in New Haven (Connecticut) lebten, ein Jahr lang einmal täglich entweder das Placebopräparat oder Cranberry-Kapseln (72 mg Cranberry-Proanthocyanidine).

Primärer Endpunkt war die Kombination von Bakteriurie plus Pyurie (eitriger Harn) bei den alle acht Wochen stattfindenden Routinekontrollen; sekundäre Endpunkte waren symptomatische Harnwegsinfekte, Antibiotikagabe aufgrund eines vermuteten Harnwegsinfekts, Tage unter Antibiotikatherapie, Hospitalisierungsrate, Prävalenz multiresistenter Erreger und Gesamtsterblichkeit.

Kein Unterschied zwischen Cranberry und Placebo

Von den 185 Teilnehmerinnen (mittleres Alter 86 Jahre) schlossen 147 die Studie ab. In der kovariaten Analyse zeigte sich für den primären Endpunkt Bakteriurie plus Pyurie kein signifikanter Unterschied zwischen Cranberry- und Placebogruppe (29,1 % vs. 29,0 %, Odds Ratio: 1,01, p = 0,98); auch für die sekundären Endpunkte gab es in keinem Fall einen signifikanten Effekt.

Titel der Studie irreführend

Frühere Studien an älteren Frauen mit Harnwegsinfekten, die vor allem mit Cranberry-Saft durchgeführt wurden, hatten hohe Abbrecherquoten, da der Saft unangenehm sauer schmeckt und sich die Therapieadhärenz aufgrund von Schluckstörungen, Harninkontinenz und beeinträchtigtem Durstgefühl schwierig gestaltet. Daher liegt die Untersuchung alternativer Applikationsformen (z. B. Kapseln) nahe. Die aktuelle Studie von Juthani-Mehta et al. zur Prävention von Harnwegsinfekten ist methodisch gut gemacht: Die gewählte Studienpopulation (Frauen > 65 Jahre) und das gewählte Setting (Altenpflegeeinrichtungen) sind ebenso plausibel wie die Endpunkte sowie die Ein- und Ausschlusskriterien.

Leider ist jedoch der Titel der Studie irreführend: Bei der gewählten Intervention handelte es sich um die Gabe von Kapseln mit isolierten Cranberry-Proanthocyanidinen, nicht also um „Cranberry-Kapseln“. Die Ergebnisse sind damit leider nicht auf Anwendungen übertragbar, bei denen Cranberry-Beeren oder -Gesamtextrakte angewendet werden.

Ergebnisse trotzdem praxisrelevant

Für die Validität der Studienergebnisse spricht, dass die Teilnehmerinnen in beiden Studiengruppen hinsichtlich möglicher Störfaktoren sehr gut randomisiert waren. Zudem sind die Ergebnisse für sämtliche Endpunkte absolut konsistent: So unterschieden sich die Cranberry- und die Placebogruppe weder im primären Endpunkt (Bakteriurie plus Pyurie), noch in allen übrigen sekundären Endpunkten (u. a. Mortalität, Hospitalisierung, symptomatische Harnwegsinfekte).

Auch die standardisierte Proanthocyanidin-Dosierung, die relativ hohe Therapieadhärenz sowie der vergleichsweise lange Studienzeitraum von einem Jahr sprechen für die klinische Aussagekraft der Studie.

Leider waren in die Studie sowohl Frauen mit als auch ohne Bakteriurie plus Pyurie zum Zeitpunkt des Studienbeginns eingeschlossen (Baseline); damit kann keine differenzierte Aussage darüber getroffen werden, ob die Proanthocyanidin-Kapseln einen Effekt auf die Inzidenz von Bakteriurie und Pyurie besitzen oder ob es bei Frauen mit vorbestehenden Beschwerden zu einer Verbesserung kommt.

Zudem wird in der Wissenschaft inzwischen sowieso davon ausgegangen, dass der postulierte antiadhäsive Effekt von Cranberry-Zubereitungen ohnehin nicht durch die oligomeren Proanthocyanidine vermittelt wird. Nichtsdestotrotz gibt es (noch immer) Supplemente, die diese Proanthocyanidine enthalten, weshalb das gewählte Studienkonzeption trotzdem praxisrelevant ist.

Ergebnisse sind nicht einfach übertragbar

Aus methodischen Gründen sind die vorliegenden Studienergebnisse weder auf Männer noch auf Frauen unter 65 Jahren übertragbar – vor allem aber auch nicht auf die Anwendung von Cranberry-Saft oder frischen bzw. getrockneten Beeren. Ganze Beeren, egal in welcher Zubereitung, enthalten ganz andere Inhaltsstoff-Gemische (und Konzentrationen) als Kapseln mit isolierten Proanthocyanidinen – auch wenn diese ursprünglich aus Cranberries isoliert wurden.

Cranberries wirken – wenn viel getrunken wird

Die in der Studie gewählte Dosis von 2x tgl. 36 mg Proanthocynidinen entspricht ungefähr dem Gehalt von 600 ml Cranberry-Saft, der neben zahlreichen weiteren Inhaltsstoffen vor allen Dingen eine andere, maßgebliche Komponente enthält – nämlich Wasser. Dieser Aspekt scheint für eine mögliche Wirksamkeit von Cranberry-Zubereitungen wesentlich zu sein: So konnte eine andere Studie zeigen, dass Kapseln mit Cranberry-Proanthocyanidinen zur Prävention von Harnwegsinfekten wirksam sind, wenn die Studienteilnehmer zusätzlich zu den Kapseln 500 ml Wasser trinken (Foxman B et al, 2005).

Die ausreichende/erhöhte Flüssigkeitszufuhr scheint an der fraglichen Wirksamkeit von Cranberry-Saft also einen erheblichen Anteil zu besitzen, ebenso die Senkung des pH-Wertes des Urins allein durch den Säuregehalt des Cranberry-Safts. So resultierte der Einsatz von Cranberry-Saft ursprünglich allein aus der Beobachtung, dass er zu einer Harnansäuerung führt. Auch die klinische Relevanz der in vitro gezeigten Adhäsionshemmung von E. coli ist unverändert fraglich.

Auch Cranberry-Saft ist unwirksam

Die Ergebnisse dieser aktuellen Studie stimmen mit früheren klinischen Studien an älteren Frauen überein, die ebenfalls die fehlende Wirksamkeit von Cranberry-Saft (McMurdo et al. 2005) oder Proanthocyanidin-Kapseln (Juthani-Mehta M et al. 2010, van den Hout WB et al. 2014, Caljouw MA et al. 2014) belegen; einzelne Studien mit Hinweisen auf eine entsprechende Wirksamkeit weisen dagegen erhebliche methodische Mängel auf (gleichzeitig erhöhte Flüssigkeitszufuhr, Randomisierungsbias).

Bei jungen Frauen ebenfalls ohne Wirkung

Dies gilt ebenso für andere als die in der aktuellen Studie untersuchte Alterskohorte > 65 Jahre: Auch bei jungen Frauen sind Cranberry-Zubereitungen zur Prävention rezidivierender Harnwegsinfekte erwiesenermaßen unwirksam und einer antibiotischen Rezidivprophylaxe unterlegen (Barbosa-Cesnik C et al. 2011, Beerepoot MA et al. 2011), weshalb das letzte Cochrane-Review zu dieser Fragestellung explizit von der Cranberrysaft-Anwendung zur Prävention von Harnwegsinfekten abrät (Jepson RG et al. 2012).

Fazit: Cranberry zur Prävention erwiesenermaßen unwirksam

Auch wenn viele – möglicherweise von ökonomischen Interessen motiviert – noch immer etwas Anderes behaupten: Die Wirksamkeit der aktuell verfügbaren Cranberry-Produkte zur Prävention von Harnwegsinfekten ist nicht „strittig“ oder „fraglich“. Die vorliegende Studie zeigt vielmehr überzeugend und übereinstimmend mit früheren Untersuchungen, dass diese Produkte zur Prävention von Harnwegsinfekten unwirksam sind.

In der Beratung sollte auf Basis der wissenschaftlichen Evidenz deshalb auch nicht suggeriert werden, entsprechende Produkte seinen „möglicherweise“ wirksam – vielmehr sollte aufgrund der erwiesenen Unwirksamkeit von ihrer Anwendung abgeraten werden. Das (übrigens auch sonst sehr empfehlenswerte) Internet-Angebot der Verbraucherzentralen zur Bewertung von Nahrungsergänzungsmitteln (“Klartext Nahrungsergänzung“) sieht das übrigens genauso: Cranberry-Produkte “eignen sich nicht zur Vorbeugung von Harnwegsinfekten“. Cranberries im Müsli sind also prima – aber allein wegen des Geschmacks und nicht wegen einer pharmakologischen Wirkung.

Was kann man stattdessen tun?

Rezidivierende Harnwegsinfekte sind belastend und können die Lebensqualität der Betroffenen erheblich einschränken. Deshalb ist es ethisch geboten, bei gegebener Indikation auch wirksame Strategien der Reinfektionsprophylaxe anzuwenden – diese existieren in Form verschiedener Antibiotika-Regime. Die Entwicklung alternativer, nicht-antibiotischer Ansätze bleibt jenseits der verfügbaren Cranberry-Präparate jedoch unverändert wichtig. Ob Cranberry-Gesamtextrakte oder Cranberry-haltige Lebensmittel in irgendeiner Form wirksam sind, ist unklar und erfordert weitere Untersuchungen.

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