Erhöhte Resorptionsrate bei Vitamin-Sprays?

Seit Kurzem drängen auch in Deutschland sogenannte Vitamin-Sprays auf den Markt, die mit verschiedenen unseriösen Werbeaussagen auffallen („Sofort-Wirkung“, „Leistungssteigerung“ usw.). Eine Frage bezieht sich auf die ebenfalls häufig für diese Sprays postulierte erhöhte Bioverfügbarkeit der enthaltenen Vitamine. Stimmt das wirklich?

Bioverfügbarkeit von Vitamin D

Die Absorptionsrate für Vitamin D wird für Gesunde in Abhängigkeit vom Fettgehalt der Nahrung mit durchschnittlich 80 % angegeben; die suggerierte Vervielfachung der Bioverfügbarkeit ist hier also schon rein rechnerisch nicht möglich. Es sind allerdings bestimmte Subgruppen denkbar, die eine gestörte intestinale Vitamin-D-Resorption aufweisen, z.B. Patienten mit zystischer Fibrose, Pankreasinsuffizienz, Zöliakie oder chronisch entzündlichen Darmerkrankungen. Auch die ausreichende Bildung von Gallensäuren in der Leber ist essenziell, da die Resorption von Vitamin D analog der Fettabsorption über die Bildung von Mizellen erfolgt.

In einer auf der Homepage des Herstellers zitierten Studie wurden jeweils 14 gesunden Probanden und 14 Patienten mit Malabsorptionsstörung täglich entweder ein Spray mit 500 I.E. Vitamin D3 oder eine Weichgelatinekapsel mit 1.000 I.E. Vitamin D3 verabreicht und nach dreißig Tagen die Plasmaspiegel von 25-OH-D verglichen. Mit dem Buccalspray konnte bei Gesunden ein Anstieg des 25-OH-D-Plasmaspiegels von 18,9 auf 26,9 ng/ml erzielt werden, mit Weichgelatinekapseln von 18,7 auf 22,8 ng/ml. Auch wenn der Anstieg beim Buccalspray höher ist, wird mit der Weichgelatinekapsel ein Anstieg bis in den Bereich einer adäquaten Versorgung (ab 20 ng/ml) erreicht, sodass die postulierten Vorteile wohl ohne klinische Relevanz sind. Bei Patienten mit Malabsorptionsstörung bewirkte die Therapie mit Buccalspray einen Anstieg von durchschnittlich 10,0 auf 20,47 ng/ml, mit Weichgelatinekapseln von 11,01 auf 14,97 ng/ml. Die Probandenzahl war jedoch gering und der Beobachtungszeitraum mit 30 Tagen sehr kurz, sodass auch hier mindestens weiterer Forschungsbedarf besteht.

Es mag Patientengruppen mit schweren intestinalen Malabsorptionsstörungen und daraus resultierenden gravierenden Vitamin-D-Mangelzuständen geben, die von einer sublingualen Vitamin-D-Gabe profitieren können; für die gesunde Bevölkerungsmehrheit als offensichtlicher Hauptzielgruppe der Vitamin-Sprays ergibt sich hieraus jedoch kein Vorteil.

Sublinguale Anwendung von Vitamin B12

Vitamin B12 liegt in Lebensmitteln meist an Proteine gebunden vor. Im sauren Milieu des Magens wird die Proteinbindung gespalten und das Vitamin vom in den Parietalzellen des Magens gebildeten Intrinsic Factor (IF) gebunden. Der entstehende Komplex wird im Ileum durch rezeptorvermittelte Endozytose aufgenommen.

Ungebundenes Vitamin B12 aus herkömmlichen Supplementen wird an IF gebunden und anschließend normalerweise gut absorbiert. Eine direkte Resorption von Vitamin B12 über die Mundschleimhaut stellt insofern einen interessanten Ansatz dar, als sowohl die Bildung von IF im Magen als auch die Resorption des Komplexes im Dünndarm bei bestimmten Patientengruppen gestört sein kann (z. B. atrophische Gastritis, perniziöser Anämie, nach Gastrektomie, Zöliakie, Morbus Crohn, Kurzdarmsyndrom).

Zwar kann bei sehr hohen Dosen ein geringer Teil der applizierten Dosis (ca. 1 %) durch passive Diffusion im terminalen Ileum auch ohne IF-Bindung absorbiert werden, sodass eine orale Substitution mit z.B. 1.000 µg/d auch bei IF-defizienten Personen häufig den gewünschten Erfolg zeigt. Alternativ erfolgt die Substitution jedoch häufig durch intramuskuläre Injektionen, was mit Schmerzen an der Einstichstelle, der Notwendigkeit eines regelmäßigen Arztbesuchs sowie vergleichsweise hohen Kosten verbunden ist.

In der Literatur finden sich Berichte über die erfolgreiche Behandlung von Vitamin-B12-Mangelzuständen durch sublinguale Applikation hoher Dosen, wobei natürlich gewährleistet werden muss, dass die Arzneiform sicher nicht verschluckt wird. Auch der vor allem für die Risikogruppe der Veganer beworbenen prophylaktischen Verwendung Vitamin-B12-haltiger Zahncremes liegt die Resorption über die Mundschleimhaut zugrunde.

Ähnlich wie bei Vitamin D kann also die sublinguale Applikation von Vitamin B12 für ausgewählte Patientengruppen sinnvoll sein. Hierfür sind im Handel bereits Lutschtabletten mit 1.000 µg Methylcobalamin verfügbar. Unabhängig von der Art der Applikation ist die Therapie eines manifesten Vitamin-B12-Mangels sicher kein Fall für die Selbstmedikation.  Zur Prävention von Mangelzuständen z.B. auf Grund veganer Ernährungsweise bei ansonsten gesunden Personen bietet die sublinguale Applikation nach bisherigen Erkenntnissen keinen Vorteil gegenüber herkömmlichen oralen Präparaten.

Auch bei Multivitaminen kein Grund für Sprays

Für die Bioverfügbarkeit der Multivitaminpräparate für Erwachsene und Kinder gilt ebenfalls, dass man bei der gesunden Durchschnittsbevölkerung zunächst von einer normalen intestinalen Resorptionsleistung ausgehen kann, sodass nicht erkennbar ist, warum eine sublinguale Applikation von Vorteil sein sollte. Studien z.B. mit verschiedenen B-Vitaminen zeigen keinen Unterschied in der Bioverfügbarkeit nach oraler oder sublingualer Applikation. Von einer generellen „9-fach höheren Bioverfügbarkeit“ kann nicht die Rede sein.

Fazit: Vitamin-Sprays sind Unsinn

Auf die fehlende Sinnhaftigkeit einer unspezifischen Vitaminsupplementation ohne diagnostizierten Mangel oder Berücksichtigung des individuellen Risikoprofils soll an dieser Stelle gar nicht erst eingegangen werden. Die Werbung mit einer „9-fach erhöhten Bioverfügbarkeit“ ist schon für sich genommen unsinnig und unseriös.

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